Toedliche Blumen
und die sie selbst einberufen hatte, und abends hatte sie zu Hause weitergearbeitet. Sie hatte relevante Berichte, Mappen und Ordner mit nach Hause geschleppt und sie auf dem Küchentisch ausgebreitet, wo sie sie in verschiedene Stapel sortiert, durchgeguckt und schließlich gewisse Partien gründlicher gelesen und angestrichen hatte. Sie stellte sich die unterschiedlichsten Fragen, sortierte erneut, fand Zusammenhänge, verwarf sie wieder, sortierte um, analysierte. Ließ sich völlig absorbieren und weder von ihren Töchtern noch vom Fernseher stören. Nicht einmal von ihrer unangenehmen, anhaltenden Übelkeit.
Letztlich suchte sie nach einer Struktur. Wollte sich ein eigenes Bild machen. Zusammenhänge erkennen und beurteilen, was die einzelnen Arbeitsansätze ergeben hatten. Welche noch keine positiven Ergebnisse mit sich gebracht hatten, aber dennoch eine brauchbare Spur darstellten, die verfolgt werden musste. All die Dinge, die sie bisher noch nicht in Angriff genommen hatten, aber unbedingt angehen mussten, und schließlich die Spuren, die sich als vollkommene Sackgassen erwiesen, denen sie aber nach wie vor wie verirrte Schafe hinterherliefen. Der Sohn von Doris Västlund machte zum Beispiel einen der noch nicht erledigten Punkte aus. Er war noch nicht wieder aus dem Ausland aufgetaucht, wurde aber für den kommenden Samstag zurückerwartet.
Wie immer gingen ihr die zwei wichtigsten Fragen durch den Kopf: Wer? Warum? Und in diesem Fall musste sie hinzufügen: Mit welchem Gegenstand?
Da sie minuziös vorbereitet sein wollte, setzte sie ihr konzentriertes Arbeiten nun im Präsidium fort. Wenn sie wollte, war sie in der Lage, einiges an Energie freizusetzen. Sie konnte ohne größere Probleme alles andere zur Seite schieben, wenn sie dazu gezwungen war. Sie hatte zum Beispiel immer noch nicht ihren eigenen Termin bei der Bank wahrgenommen, wollte ihn jedoch am nächsten Tag, dem Freitag, ganz bestimmt einhalten. Der Termin war bereits zum zweiten Mal verschoben worden. Ihre Ansprechpartnerin bei der Bank hatte bei der letzten Änderung nicht mehr besonders viel Verständnis gezeigt.
Louise gehörte zu jenen nicht seltenen Typen, die große Befriedigung darin finden, sich zu sammeln, Papiere in Händen zu halten, zu sortieren und zu fokussieren. Und sie gewann trotz der Zerstreuungen, die ihr Privatleben mit sich brachte, dadurch an Energie. Schließlich geriet sie wie in eine Art Rausch und hätte bis zum Umfallen weitermachen können.
Um halb elf war sie dennoch leicht müde geworden. Sie hatte nicht gefrühstückt und musste etwas in den Magen bekommen, auch wenn es nur etwas zu trinken war.
Sie stand vom Schreibtischstuhl auf und ging schnellen Schrittes in den Personalraum. Sie wollte sich jedoch nicht zu den anderen Kollegen setzen, falls überhaupt jemand dort saß. Stattdessen wollte sie ihren Kaffeebecher lieber mit in ihr Zimmer nehmen. Vielleicht sollte sie sich heute doch lieber einen Tee kochen, überlegte sie, denn in ihrem Körper vibrierte die Übelkeit wie Wackelpudding. Es fehlte nicht viel, und der Brechreiz würde ausgelöst werden. Zu allem Übel war sie gleichzeitig auch noch hungrig.
Genau so war es beim letzten Mal auch. Vor über zwölf Jahren. Die Symptome waren leicht wiederzuerkennen. Mein Gott! Warum auch noch das? Warum gerade sie?
Plötzlich war ihr zum Heulen zumute, und ihr Atem stockte. Aber die Tränen blieben, Gott sei Dank, aus. Sie konnte sie gerade noch zurückhalten. Schluckte und versuchte, an etwas anderes zu denken.
Ihr fiel ein, dass sie noch einen Apfel in der Tasche hatte, vielleicht konnte sie ein wenig daran knabbern, aber als sie in Gedanken in das säuerliche Fruchtfleisch biss, brannte es in ihrem Magen, und ein kräftiger Beigeschmack füllte ihren Mund, als hätte sie Säure getrunken. Also musste sie es wohl mit einem Stück Brot versuchen. Das würde den Magen wieder etwas beruhigen. Leider hatte sie aber keines dabei. Vielleicht lag ja noch ein geöffnetes Paket Wasa-Knäcke oben im Schrank des Personalraumes.
Morgen, dachte sie. Morgen ist ein neuer Tag. Da würde sie aufhören, die Augen zu verschließen.
Sie empfand es jedes Mal als Wagnis, ihr Büro zu verlassen und sich im Korridor, im Personalraum oder im Treppenhaus zu zeigen, sah sich jedoch gezwungen, das Risiko einzugehen. Jederzeit konnte sie angesprochen, aufgehalten und in lange Diskussionen verwickelt werden, die ihr die Energie raubten und sie derart ablenkten, dass sie es oftmals
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