Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)
Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich, doch seine Gedanken waren immer noch in Aufruhr. Unten wartete Marjorie auf ihn.
Am Treppenabsatz hörte er ein leises Geräusch durch die Tür des Schlafzimmers der Frauen neben sich – ein schwaches »Ping«, als eine Haarnadel oder Brosche in eine Glasschale auf der Frisierkommode gelegt wurde. Marjorie war nicht unten, sie war dort drin. Er war sich nicht ganz bewusst, was er tat, als er seine Hand auf die Klinke legte und die Tür öffnete. Marjorie stand vor dem Spiegel gleich daneben; sie hatte ihr Kleid ausgezogen und stand im Unterrock da, Schultern und Arme nackt und das Haar offen. Sie schien an diesem Ort Zuflucht gesucht zu haben, um ihre Erscheinung nach Annes Bad wieder in Ordnung zu bringen. Tatsächlich aber war sie hier heraufgekommen, weil sie die Minuten des Wartens nicht länger ertragen konnte, als George weg war, und sich mit der einzigen Tätigkeit, die ihr in dem Augenblick einfiel, ablenken wollte. Es würde helfen, das unvermeidliche Tête-à-Tête mit George aufzuschieben, bei dem sie weder wusste, was sie sagen wollte, noch, was sie sagen sollte.
Marjorie drehte sich um, als die Tür geöffnet wurde. Es war, als würde sich das Schicksal auf sie herabsenken. Die Knie wurden ihr ganz weich bei Georges Anblick. Und in ihrer Stimme schwang etwas wie Tränen mit.
»George!«, war alles, was sie sagen konnte – ihr wollte kein weiteres Wort einfallen. Sie streckte eine Hand aus und trat auf ihn zu, so als wollte sie ihn zurückdrängen; doch es war nur eine sehr halbherzige Geste.
»George! Ich ... du ...«
George sagte gar nichts. Die letzten Spuren irgendeines Zögerns seinerseits erloschen, als er sah, dass Marjorie den Tränen nahe war. Er ging zu ihr, um sie zu trösten, und dann setzte die Berührung ihres Fleisches diesem Gedanken ein Ende. Marjorie kam in seine Arme; aus der Wüste der Unentschlossenheit direkt hinein in die liebliche Oase rücksichtsloser Hingabe. Das Bett stand neben ihnen. Wie ein Blitzschlag am dunklen Himmel durchfuhr Marjorie eine Sekunde lang der Gedanke, dass ihr Ehemann ein Mörder war. Doch als er vergangen war, blieb nichts weiter als nur ein umso größeres Verlangen, diesem neuen Liebhaber jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Ely war ein unerfahrener Liebhaber, sanft und doch unbeholfen, unendlich zärtlich und doch von Leidenschaft hingerissen. Marjorie spürte, wie sie mit Leib und Seele in Liebe zu ihm entbrannte.
»Liebling«, sagte sie. »Liebling. Liebling.«
12
Am nächsten Morgen war Mrs Clair sicher, dass die beiden ein Liebespaar waren. Sie war beinah gestern Abend schon sicher gewesen, als sie Marjorie nach ihrer Rückkehr aus dem Kino schlafend in dem zerwühlten Bett fand, das Haar zerzaust und die Kleider so unordentlich verstreut, wie sie es Marjorie als Kind nie erlaubt hatte. Mrs Clair schlich ins Schlafzimmer, verzichtete darauf, Licht einzuschalten, und behalf sich mit dem trüben Licht einer Kerze auf der Frisierkommode. Marjorie lag friedlich schlafend da und atmete gleichmäßig. Als Mrs Clair ihr einen prüfenden Blick zuwarf, erkannte sie sofort die Entspannung ihres Körpers und die Röte auf ihren Wangen. Sie lächelte, während sie durch das Zimmer schlich und sich zum Zubettgehen fertig machte.
Und am nächsten Morgen hatten diese beiden nur Augen füreinander und schenkten niemandem sonst Aufmerksamkeit. Das Geplapper der Kinder beachteten sie gar nicht, auch wenn Ely ein Schulterklopfen für Anne übrig hatte und die Zeit fand, Derrick im Nacken zu kitzeln. Mrs Clair fing ein kurzes bedeutungsvolles Lächeln zwischen Ely und Marjorie auf, und da erinnerte sie sich, genau so ein Lächeln schon einmal aufgefangen zu haben, nämlich zwischen Ted und Dot; in ihrer Naivität jener Tage hatte sie dem keine Bedeutung beigemessen. Sie behielt den Vergleich allerdings für sich. Es wäre doch eine Schande gewesen, ihr Glück zu trüben, und Mrs Clair hatte auch noch andere Dinge vor Augen,als nur Ted zum Hahnrei zu machen. Es musste eine noch schlimmere Strafe geben als diese, und am Ende wären die beiden noch viel, viel glücklicher, als sie es als schuldbewusste Liebende je sein könnten. Sie klopfte auf den Frühstückstisch, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und sah sie dann alle gebieterisch an.
»Ladys und Gentlemen!«, sagte sie. »Keiner außer mir scheint daran zu denken. Heute ist unser letzter Tag. Was wollt ihr denn alle machen an unserem letzten Tag?«
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