Töten ist ganz einfach: Thriller (German Edition)
redete munter drauflos, hatte wie immer kein Sensorium für die Stimmung von Anna. Langsam drehte sie sich um und betrachtete ihn von oben bis unten. Zugegeben, Marc sah für seine 55 Jahre sehr gut aus. Stahlgraues, dichtes Haar und ein wettergegerbtes Gesicht mit feinen Lachfältchen um die braunen Augen, die lebenslustig blitzten.
„Anna, was ist? Warum siehst du mich so an?“, fragte er und setzte sein gewinnendes Lächeln auf.
„Es ist aus, Marc, endgültig vorbei.“ Sie war selbst überrascht über ihre klaren Worte. Mit einer fahrigen Handbewegung strich sie sich eine gelockte rote Strähne aus der Stirn. „Ich will dich nie wiedersehen!“
„Habe ich etwas Falsches gesagt?“, fragte Marc und schien echt verwirrt. „Hast du Migräne?“
„Ich möchte, dass du aus meinem Leben verschwindest! Ruf mich einfach nicht mehr an!“ Abrupt drehte sie sich um, verschränkte die Arme vor der Brust, starrte hinaus auf die Donau, auf die leuchtende Fassade des Ars Electronica Centers. Der flauschige Hotelbademantel schien plötzlich zu jucken, zu kratzen, die Haut zu kribbeln, hektische Flecken röteten ihre Wangen, das konnte sie spüren. Ohne nachzudenken griff sie nach der Blumenvase, die auf dem Beistelltischchen stand, drehte sich um und schleuderte sie in Richtung Marc. Elegant wich er aus und krachend zersplitterte die Vase an der Wand. Nicht einmal verletzten konnte sie ihn.
„Du bist ja vollkommen verrückt!“, fauchte er wütend und verlor für einen Augenblick seine Souveränität. Hastig schlüpfte er in seine Kleider und knallte die Zimmertür hinter sich zu.
Fest eingehüllt in den dicken Bademantel lag Anna auf dem Teppichboden, zusammengerollt und ließ ihren Tränen freien Lauf. Morgen, dachte sie, morgen wird alles anders. Morgen beginnt ein neues Leben.
11. Linz/Prag: Der sechste Tag
Der Ameisentisch in der Agentur „The White Elephant“ war bis auf Laptop und Beamer vollkommen leer.
„Ich habe gemeinsam mit Mary endlich einmal den Tisch von uralten Layouts, Skizzen und Zeitschriften befreit. Damit wir freier denken können“, begrüßte eine strahlende Anna Lange, die frisch gefönt, mit engen schwarzen Jeans und schwarz glänzender Bikerjacke einfach umwerfend aussah, den verschlafenen Richard Marx.
Niemand wusste, dass sie bis zum Morgengrauen alleine in dem Hotelzimmer auf dem Teppichboden liegend geheult hatte. Sie hatte sich im wahrsten Sinne den Schmerz herausgeweint, bis es nichts mehr zu weinen gab. Dann hatte sie sich besser gefühlt. Eine lange heiße Dusche spülte Marc, die Erinnerung an die Nächte mit ihm und ihr altes Leben in den Abfluss. Nach diesem Reinigungsprozess war sie direkt in ihre Agentur gefahren.
„Wir haben nur wenig Zeit, die Royal International-Kampagne muss bereits in einem Monat in den Medien geschaltet werden. Die Präsentation bei Royal International ist nächste Woche. Schon vergessen?“, fragte sie provokant lächelnd. Ohne Richard Marx’ Antwort abzuwarten, legte sie die Briefingunterlagen auf den Tisch und schaltete Laptop und Beamer ein.
Das Brainstorming kam zäh in Fahrt und erst jetzt merkte Anna, wie wichtig Stefan Szabo mit seinem kreativen Input für ihre Agentur war. Aber Szabo war zu teuer, selbst für das geringe Honorar, um das er arbeitete, deshalb musste der kreative Funke bei ihnen selbst überspringen, das war einfach nicht zu ändern.
„Weiß Stefan eigentlich, dass wir die Royal-Kampagne ohne ihn machen?“, fragte sie in die Runde.
„Er hat gestern angerufen und sich erkundigt, was so läuft. Da habe ich es ihm gesagt“, sagte Mary und studierte ihre gold lackierten Fingernägel, die perfekt zu ihrem Outfit passten.
„Wie hat er reagiert?“, wollte Anna wissen.
„Er war ziemlich sauer. Hat anscheinend gleich seinen iPod aufgedreht. Ich konnte es übers Handy hören. Grässliche Musik“, sagte Mary und schüttelte sich theatralisch.
Was soll’s, dachte Anna, ich kann mich nicht auch noch um einen beleidigten Kreativen kümmern. Jetzt muss ich endlich einmal an mich denken!
Während Richard, die übliche Zigarette im Mund, auf seinen Schmierzetteln an Scribbles feilte, Mary ihre sehr verquere Logik einbrachte und die Praktikanten wie immer stumm dabeisaßen, musste sie an die Nachricht von Tony Braun auf ihrer Mailbox denken. Er hatte so traurig geklungen, so gar nicht wie sonst mit seiner lautstarken emotionellen Art, die ihr ziemlich auf die Nerven ging. Tony Braun, immer im schwarzen Anzug und weißem
Weitere Kostenlose Bücher