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Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung

Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung

Titel: Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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natürlich wissen, dass ich es war. Aber was konnte sie machen? Sie hatte keine Möglichkeit, mich zu finden. Wie sollte sie mich bestrafen? Indem sie mich von Koichiro fernhielt vielleicht? Ihm sagte, ich wäre tot? Na los, sag es ihm, wenn du es nicht schon getan hast. Ich zeige dir, was tot wirklich bedeutet.
    Ich beobachtete ihn im Seitenspiegel, wie er die Christopher Street hinunterging. Vielleicht wollte er zur U-Bahn. Ihm die Treppe hinunterfolgen, zu ihm aufschließen, sobald er um die Ecke herum ist, keiner vor uns, zack, ihn fallen lassen und weitergehen, eine andere Treppe hoch wieder auf die Straße. Schnell zurück zum Auto und fünf Minuten später verschwunden wie ein Geist.
    Okay. Ich stieg aus, verriegelte die Tür, steckte das iPhone und die Schlüssel in die Tasche und ging ruhig hinter ihm her. Ich war nicht mehr wütend. Es kam mir nicht mehr vor wie etwas Persönliches. Es war bloß ein Job, wie immer. Und ich wusste, wie es ging.
    Er war gut fünfzig Meter vor mir, bewegte sich schnell durch die Kälte. In Höhe der Seventh Avenue wechselte er die Straßenseite und ging in derselben Richtung weiter. Mein Instinkt sagte mir, dass er zur U-Bahn-Station am Sheridan Square wollte. Ich beschleunigte mein Tempo und bog schräg in die Grove Street, um ihn abzufangen.
    Er ging direkt vor mir vorbei, als ich zehn Meter von der West 4th Street entfernt war. Ich heftete mich wieder an seine Fersen, schloss noch dichter auf und inspizierte die Umgebung: mäßiger Verkehr auf der Seventh Avenue, überhaupt keiner auf der West 4th. Eine Handvoll Fußgänger waren auf der West 4th in beiden Richtungen unterwegs, plaudernd, lachend, das übliche New Yorker Sprachgewirr. Schaufenster, leer. Nichts Außergewöhnliches. Es dämmerte, und es war kalt. Die Leute hatten die Köpfe gesenkt, hasteten nach Hause zum Abendessen oder einfach nur, um ins Warme zu kommen. Niemand würde was merken, geschweige denn sich an einen Mann mit Wollmütze und Sonnenbrille inmitten der riesigen Metropole erinnern.
    Wie ich mir gedacht hatte, verschwand er am U-Bahn-Eingang Sheridan Square die Treppe hinunter. Ich dehnte den Hals, ließ die Wirbel knacken und warf einen letzten Blick hinter mich, als ich an der Treppe war. Alles klar.
    Ich folgte ihm nach unten, setzte meine Schuhsohlen geräuschlos an den Außenrändern auf. Das Herz hämmerte mir in der Brust. Fünf Schritte hinter ihm. Vier. Drei.
    Er bog um eine Ecke. Ich warf einen Blick nach hinten. Alles frei. Ich folgte ihm. Auch hinter der Ecke alles frei. Ich schloss noch einen Schritt näher auf. Die Entfernung war perfekt. Mit einer Hand nach seinem Gesicht greifen, ihm die andere ins Kreuz drücken. Ihn nach hinten reißen, den Hals drehen, krümmen, knack, loslassen, fertig.
    Ich war einen Wimpernschlag davon entfernt, einen routinemäßigen elektrischen Befehl, eine einzige abgefeuerte Synapse. In tausend Paralleluniversen tat ich es und hatte es bereits getan.
    Doch hier, in diesem Leben, zögerte ich. In der Realität sah ich eine leere U-Bahn-Station und einen perfekten Moment zum Handeln; im Geist sah ich Koichiro, wie er über das lachen musste, was der Mann zu ihm gesagt hatte. Der Atem stockte mir in der Kehle, und meine halb ausgestreckten Arme erstarrten. Ich blieb stehen, mein Magen verkrampfte sich, meine Schultern zerrten nach vorn, als führten sie Krieg mit meinen angewurzelten Füßen.
    Ich sah ihm nach, bis er in einen anderen Gang bog. Dann war er verschwunden.
    Ich ging auf unsicheren Beinen zurück zum Wagen. Ich stieg ein, sackte auf dem Sitz zusammen, barg das Gesicht in den Händen und wurde plötzlich von einem Weinkrampf geschüttelt.
    Vielleicht war dieser Mann ja wie ein Vater für Koichiro oder würde es sein. Vielleicht würde mein Sohn später mit dem Begriff Vater am ehesten diesen Mann verbinden. Und ich war kurz davor gewesen, ihm auch das noch wegzunehmen. Warum? Weil ich es konnte? Weil es einen verletzten Teil von mir betäuben würde?
    Ich blieb noch lange so sitzen, verwirrt und hilflos und elend. Irgendwann bekam ich mich wieder in den Griff. Ich startete den Motor und fuhr weg, ohne mich noch einmal umzusehen.

22
    ICH SAH IN ZWEI verschiedenen Internetcafés in den Bulletin Boards nach. Beide leer. Dann rief ich, einem törichten Impuls folgend, Google auf und tippte ins Suchfeld: »Jan Jannick Fahrrad Palo Alto.« Der erste Treffer war ein Aufmacher in den Palo Alto Daily News. Ein grotesker Unfall, berichtete der Artikel.

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