Top Secret - Der Ausbruch
konnte. Für diese Gelegenheit waren extra zwei Anzüge mit der Aufschrift Omaha Staatsgefängnis eingeflogen worden. Zusätzlich mussten James und Dave neongelbe
Westen anziehen, wie sie die Kinder beim Football-Training tragen. In großen Buchstaben stand darauf: Vorsicht Fluchtgefahr . Die einzigen normalen Kleidungsstücke, die die Jungen anbehalten durften, waren ihre Turnschuhe.
»Sobald ihr die anhabt, gibt es keine Pinkelpausen mehr«, warnte Marvin und klimperte mit den Ketten.
James und Dave rannten nach oben aufs Klo, und als sie wiederkamen, hatte Marvin die beiden Ketten auf dem Boden ausgebreitet.
Zuerst war James an der Reihe. Er zuckte zusammen, als Marvin die Schellen um seine Fußknöchel schloss.
»Muss das so fest sein?«
»Sie sollen richtig einschneiden, damit die Manschette nicht verrutscht«, erklärte Marvin. »Wenn ich sie lockerer mache, würde jemand Fragen stellen. Streck die Hände aus.«
Er befestigte kalte Metallhandschellen um James’ Handgelenke. Über eine Kette waren die Handschellen mit den Fußfesseln verbunden, sodass James seine Hände nicht weiter als bis zu den Hüften heben konnte.
»Lauf etwas im Zimmer herum, bis ich mit Dave fertig bin«, riet Marvin ihm. »Man muss sich an die Dinger erst einmal gewöhnen.«
Die einzelnen Zellen im Gerichtsgebäude von Phoenix waren kaum ein mal drei Schritt groß. Die einzigen Einrichtungsgegenstände bestanden aus einem Trinkbrunnen und einer dreckigen Toilettenschüssel aus Metall. Auf dem Weg zu seiner eigenen Zelle war James bereits an Dutzenden dieser stickigen kleinen Käfige vorbeigekommen, und die Schreie und Rufe aus allen Richtungen ließen vermuten, dass es noch ein paar Hundert mehr gab.
Eigentlich hätten James und Dave an diesem Morgen als Erste vor Gericht erscheinen sollen, aber es war etwas dazwischengekommen und James hatte das Gefühl für die Zeit verloren. Die Häftlinge durften keine Uhren tragen und es gab keine Fenster. Er schätzte, dass es zwischen zwölf und ein Uhr gewesen sein musste, als ihm jemand ein Sandwich in Plastikfolie und eine Flasche Cola durch die Gitterstäbe reichte. Doch das war bereits ein paar Stunden her.
»Rose, James«, rief eine Frauenstimme.
Die untersetzte weibliche Wache stand mit einem Klemmbrett vor den Gitterstäben der winzigen Zelle. Sie hatte ein rotes Gesicht und der Schweiß lief ihr in Strömen aus dem Haar. James stand vom Boden auf. Die Fußfesseln trug er immer noch, doch die Handschellen waren ihm bei seiner Ankunft abgenommen worden.
»Handschellen«, forderte ihn die Schließerin scharf auf.
James hob die Handschellen auf und legte sie auf die kleine Metallablage in der Tür.
»Komm schon«, verlangte sie zornig, »die Hände!«
James erkannte, dass er seine Hände durch den Schlitz stecken sollte, damit sie ihm die Handschellen anlegen konnte. Die Frau schloss sie einen Zahn fester als Marvin, so fest, dass die Sehnen in seinem Handgelenk bei jeder Bewegung seiner Finger schmerzten.
»Was schaust du so finster, Junge?«
Sie gingen an zwei Reihen der kleinen Zellen entlang und sechs Treppen hoch bis zum zweiten Stockwerk des Gerichtsgebäudes. Dort gab es eine Klimaanlage, und James erkannte erfreut Dave, der vor dem Gerichtssaal wartete.
»Warum dauert das so lange?«, wollte James wissen.
Dave zuckte mit den Achseln. »Als ob sie uns das sagen würden!«
Die Schließerin klopfte an die Tür des Gerichtssaales und wartete ein paar Sekunden, bis sie die Jungen hineinführte. James hatte eine große Angelegenheit erwartet, mit vielen Leuten in einem großen Saal und Holzvertäfelungen an den Wänden, wie man es aus Filmen kennt. Doch stattdessen gelangte er nur in ein fensterloses Büro mit einem ausgefransten Teppich, das kaum größer war als sein Zimmer bei CHERUB.
Hinter dem mit Papierstapeln überladenen Schreibtisch saß die grauhaarige Richterin in Strümpfen und nippte aus einer Starbucks-Tasse Kaffee. Ihre Schuhe und Handtasche standen auf dem Boden unter einer amerikanischen Flagge an einer Stange. Neben ihr saß an einem kleineren Tisch eine Stenografin, außerdem waren noch eine Wache mit einem Gewehr sowie zwei Anwälte anwesend. Einen von ihnen hatten James und Dave am Morgen kurz gesehen, bevor sie in ihre Zellen geführt worden waren.
Der Anwalt hatte ihnen eine Besonderheit der amerikanischen Gerichtsbarkeit erklärt. Dabei wird der Fall vor Gericht nach einem System verhandelt, bei dem sich der Angeklagte eines geringeren
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