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Totenkuss: Thriller

Totenkuss: Thriller

Titel: Totenkuss: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uta-Maria Heim
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einen draufmachen. Am Tag des Zorns erklang in d-Moll das Dies irae. Und so
umflatterte der Chor im Narrensprung den dicken Schneematsch am Kriegerdenkmal,
aufgepeitscht von seinem dollohrigen Dirigenten, der einen Stahlhelm trug und
derart fuchtelte, als befände er sich im letzten Gefecht.

     

     

     
    Unsere Sprache ist sexistisch, und unser
Sprachgebrauch ist sexistisch. Unsere Gesellschaft ist sexistisch, und wir sind
sexistisch.
    Senta Trömel-Plötz,
    Gewalt durch Sprache

     

Freitag, 9. Mai
    # Die verdeckte Gewalt in den Köpfen

     
    Am Freitag
vor Pfingsten war das Wetter frühsommerlich. In Stuttgart schien die Sonne. Die
Kastanien verblühten und zwischen den Schönwetterwolken zogen sich die
Kondensstreifen der Mallorcabomber. Sie sahen aus wie fein beschriebenes
Notenpapier, und aus den ungewaschenen Wohnmobilen tropfte Softpopmusik. In der
Luft hing Brummsmog, die Stadt stank nach Himbeerbonbons und abgasarmem
Freibad. Durch die Innenstadt boxte sich der Verkehr. Die Hausfrauen
verstopften schon am Vormittag die Fußgängerzone und quollen wie
Maultaschenteig in die fleischwolfartigen Eingänge der Einkaufszentren und
Sportgeschäfte. Prall und abgefüllt sprinteten sie mit ihren Luftkreditdieseln
aus der Tiefgarage.
    Punkt elf stand Mone Sachs in ihrer chromblitzenden
Salatschüssel vor dem Albert-Einstein-Gymnasium. Die ersten Fünftklässler
schossen aus dem Schultor, gejagt von kriegerischer Panik und beflügelt von der
Aussicht auf zwei stinklangweilige, ereignislose Ferienwochen, die sie mit
ihren teilnahmslosen Eltern und hirntoten Geschwistern auf vollgemüllten
Campingplätzen zubringen würden. Aus Gründen, die Mone nicht verstand, hatte
auch Ludger sich diesmal zu so einem Blödsinn hinreißen lassen. Angeblich,
weil die Kinder die toskanische Einöde nicht mehr vertrugen. Sie sehnten sich
nach Sonnenuntergängen mit Meerblick und ließen sich lieber nach
Wassergymnastik und Shopping in der Campingdisco animieren, als in der schieren
Savanne Wasserkanister zu schleppen.
    Die Kleinsten kamen zuerst, ein endloser Pulk von
Unterstufenschülern folgte. Sie zwängten sich aneinander vorbei und schubsten
sich die Stufen hinunter. Mone sah Lucys Freundinnen, Bonnie und Fateme, und
winkte aus dem Fenster. Die beiden gingen achtlos weiter zur
Stadtbahnhaltestelle. Als Klasse 7 durch war, wurde der Abgang gelassener. Lucy
und Noé ließen auf sich warten. Schließlich trippelten sie, umringt von
baumlangen Oberstufenschülern, wie Prinzessinnen die Treppe hinunter. Sie
trugen beide Pferdeschwänze, weit ausgeschnittene Blümchenhemden, über dem Knie
abgeschnittene Jeans und Ballerinas. Noé hatte Ludgers füllige Figur geerbt,
seinen Schmollmund und seine hellbraunen Locken. Sie war groß, plump, weich und
gutmütig. Lucy hingegen glich Mone: klein, dünn, drahtig, rothaarig, praktisch,
berechnend. Obwohl sie nur drei Jahre auseinander waren – Lucy ging
in die siebte, Noé in die zehnte Klasse –, konnte man Noé bei einem allzu
flüchtigen Blick für Lucys Mutter halten. Sie wirkte für eine 16-Jährige
ausgesprochen reif und weiblich, während Lucy noch flach war wie ein Brett und
jungenhaft pubertierte. Dass die beiden unzertrennlich waren, hing wohl mit
ihrer Grundverschiedenheit zusammen und mit dem, was sie vereinte: ihre
überdurchschnittliche Intelligenz.
    »Das ist ja lieb, dass du uns abgeholt hast.« Noé schwang
sich auf den Beifahrersitz und gab Mone einen Kuss.
    Lucy stieg hinten ein. »Wenn du schon mit dem Auto in der
Stadt bist, könnten wir vielleicht noch ein paar Sachen besorgen. Wir haben
Papa versprochen, uns diesmal um die Fressalien zu kümmern, um die ganzen
Basics, weil er doch das Zelt beisteuert und die Isomatten und den Gaskocher.
Er nimmt auch Töpfe, Geschirr und Besteck mit. Und eine Taschenlampe.«
    Mone lächelte. »Hab schon eingekauft. Auch für Noé den neuen
Schlafsack und das Flickzeug für die Fahrräder. Und jetzt gehen wir Pizza
essen?«
    Pizza, wie immer vor den Ferien. Aber ansonsten war alles
anders. Wenigstens kein langweiliger Pauschalurlaub mit Hotel und Halbpension,
bei der man fett wurde.

     
    *

     
    Manchmal
stellte sie sich vor, wie Jorinde über die rote Ampel lief. Oder wie Nathan in
ein fremdes Auto stieg und mitgenommen wurde. Die Welt war voller Gefahren und
Abgründe. Trotzdem gehörte Barbara Fehrle nicht zu den Müttern, die ihre Kinder
von der Schule abholten. Sie hatte

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