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Totenmond

Totenmond

Titel: Totenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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hatte. Alex stellte sich vor, wie Jule anderntags mit ihren Schnösel-Freundinnen vergleichen würde, wessen Gatte tiefer in die Tasche gegriffen hatte. Jule hatte zwar ein überdurchschnittlich erfolgreiches Jura-Studium absolviert, die eigene Karriere aber zugunsten der Rolle als Mutter und Ehefrau aufgegeben. Genau wie die anderen aus ihrer Clique. Genau wie Mama damals.
    Basti saß neben Dad auf dem Sofa und freute sich über seine neue Armbanduhr. Nicht dass er eine benötigt hätte. Oder irgendetwas anderes. Basti stammte aus altem Düsseldorfer Geldadel, und soweit Alex es beurteilen konnte, interessierte er sich außer für sich selbst vor allen Dingen für alte britische Sportwagen und Immobilien, worüber er stundenlang dozieren konnte. Alex hatte ihn noch nie ausstehen können. Nein, das war zu schwach ausgedrückt: Sie hatte ihn und alles, wofür er stand, stets verachtet. Wenigstens war Basti helle genug, um das zu begreifen, und seine Empfindungen gegenüber Alex waren ähnlich gelagert. Jetzt schwenkte er ein Cognacglas, neigte sich zu Dad und erzählte irgendetwas über Speichenfelgen, worauf Dad nickte, scheinbar zuhörte und die goldenen Manschettenknöpfe bewunderte, die Alex für ihn bei einem Lemfelder Juwelier erworben hatte. Dad mochte so was. In der Hinsicht war er rundherum altmodisch.
    »Magst du das auch wirklich?«, fragte Mum und zupfte vor dem Spiegel an Alex’ Schultern herum. Eine Wohltat, sie aus dieser Nähe einmal ohne Fahne zu genießen. »Ich kann es sonst auch zum Schneider bringen, oder du bringst das selbst zu irgendwem, aber ich finde, es steht dir wirklich phantastisch. Vielleicht ist das ja mal was für Silvester, falls du etwas vorhast – hast du etwas vor? Jedenfalls konnte ich einfach nicht daran vorbeigehen, es stand sozusagen Alex auf dem Etikett gedruckt.«
    Mama lachte über ihren eigenen Witz und stoppte für einen Moment den Redeschwall. Sie konnte morgens zu plappern beginnen und es ohne Unterbrechung bis abends fortsetzen. Vielleicht, weil sonst niemand besonders viel mit ihr sprach.
    »Mama?«, fragte Alex und betrachtete sich im Spiegel.
    »Hm?«
    Alex drehte sich um und gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Stirn. »Das Kleid ist toll. Es muss nichts daran geändert werden. Es sitzt perfekt.«
    Was die reine Wahrheit war. Mama hatte es mit dem Augenmaß gekauft, über das nur eine Mutter verfügte. Es war ein klassisches schwarzes Cocktailkleid von Dior und sicherlich sündhaft teuer gewesen.
    Mama griff Alex sanft in den Nacken, bündelte die dicken schwarzen Haare zu einem Zopf und hob ihn an, um eine Hochsteckfrisur zu simulieren. »Schau mal, das kannst du auch super so tragen. Hast du Schuhe dafür? Na ja, die bekommst du schon noch irgendwo. Aber Schuhe verschenke ich nicht, das macht man nicht. Nur eins fehlt noch.« Alex sah Mama im Spiegelbild lächeln. Mit dem Zeigefinger fuhr sie Alex von hinten am Schlüsselbein entlang. »Eine schöne Kette. Aber vielleicht bekommst du das ja noch zu Weihnachten von irgendwem.«
    Sie zwinkerte. Alex schmunzelte. Das war Mamas Art zu fragen: Und, was machen die Männer? Gibt es inzwischen einen Freund? Ist er nett? Sieht er gut aus? Behandelt er dich anständig?
    »Ich arbeite dran«, sagte Alex.
    »Na immerhin«, sagte Mum, ließ Alex’ Haare wieder los und gab ihr einen Klaps auf den Po. »Wäre ja nun wirklich eine Schande. Also, wenn ich ein Mann wäre und dich so sehen würde, ich würde alles stehen und liegen lassen.«
    »Darf ich dich was fragen, Mama?«
    »Klar«, sagte sie und lehnte sich an eine Biedermeierkommode, auf der ein Strauß weißer Lilien stand und den Raum mit Duft erfüllte.
    »Machst du eine Entziehung?«
    Mum musterte Alex stolz von oben bis unten und schien die Frage zunächst gar nicht wahrzunehmen. Dann sagte sie beiläufig: »Nein. Ich bin einer Gruppe beigetreten, habe mir einen Therapeuten genommen und trinke seit drei Monaten nur noch Wasser.« Sie beugte sich nach vorne und lupfte den Saum des Kleides einige Zentimeter. »Meinst du nicht, es könnte hier noch ein Hauch weggenommen werden?«
    Alex schüttelte den Kopf. »Nein, alles gut so, wie es ist.«
    »Gut, wenn du meinst.« Mama schien noch einen Augenblick nachzudenken, stellte sich dann aber wieder aufrecht hin.
    »Und bleibst du dabei?«
    Mama lächelte. Statt zu antworten, nahm sie Alex’ Gesicht in die Hände und gab ihr einen Kuss. »So, und jetzt gehen wir wieder zu den anderen, damit sie dich bewundern

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