Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
Ruperti?«
Der Angesprochene sah Wallner verwundert an, seine braunen Augen lagen tief in den Höhlen und waren von eigenartiger Ausdruckslosigkeit.
»Ja. Was gibt’s?«
»Ich hätte ein paar Fragen. Es geht um Dinge hier in Dürnbach, die schon eine Weile her sind. Die Nicole sagte, Sie könnten mir vielleicht helfen.«
Rupertis Blick wanderte zu den anderen. Die nickten. Wallner setzte sich. Einer der beiden Männer stellte sich als Sebastian Haltmayer vor, der andere als Albert Kieling.
»Ich war lang Bürgermeister. A bissl kenn ich mich schon aus«, sagte Ruperti.
»Gab es hier im Dorf mal eine Frau mit dem Namen Frieda Jonas?«
Ruperti schien nachzudenken, sein Blick wurde unruhig. Wallner bemerkte, dass Kieling den Alten gespannt ansah. Ebenso Haltmayer. »Wüsst ich jetzt net. Wann soll die hier gewesen sein?«
»Auf alle Fälle gegen Kriegsende. Vielleicht auch schon vorher.«
Ruperti verzog den Mund und schüttelte den Kopf. »Kennt’s ihr die?«, wandte er sich an seine Stammtischgenossen. »Wie war der Name?«
»Frieda Jonas«, sagte Wallner und beobachtete die Mimik der Männer. Haltmayer schien nachzudenken, ob ihm der Name nicht doch etwas sagte.
Wallner hatte den Eindruck, als hätte er etwas ausgelöst. Eine unbehagliche Stimmung legte sich über den Tisch. Nur Kieling wirkte relativ entspannt.
»Ich kann dazu nichts sagen. Ich war zu der Zeit nicht hier. Aber wenn die Frau hier gelebt hat«, Kieling legte seine Hand auf Wallners Arm und senkte verschwörerisch die Stimme, »dann wüsste das der Ruperti. Der ist nämlich jeder nachgestiegen.« Heiterkeit breitete sich aus. Auch Haltmayer lachte und gab Kieling recht. Ruperti tat empört, schien die Bemerkung aber eher als Kompliment zu betrachten.
Kieling spielte mit seinem Bierdeckel. »Wer sagt denn, dass die hier gewesen ist?«
»Wir haben ihre Leiche in einem versteckten Grab gefunden. Entschuldigung, das hatte ich noch nicht gesagt: Ich bin bei der Kripo Miesbach. Wir ermitteln in der Sache.«
»Ach, die ist des?!«, piepste Ruperti. »Die aus der Veits-Kapelle?«
»Ja. Auf dem Sarg war ein Schild. Daher wissen wir, dass sie am zweiten Mai fünfundvierzig gestorben ist.«
»Und wieso interessiert sich die Kripo dafür?«, fragte Haltmayer.
»Weil der Schädel ein Einschussloch hat. Die Frau wurde erschossen.«
»O mei, o mei! Damals san so viele erschossen worden. Damals war Krieg, junger Mann.« Ruperti winkte Nicole mit seinem Bierkrug, der einen Zinndeckel hatte und eine Aufschrift in Fraktur, die Wallner nicht entziffern konnte. Offenbar sollte er frisch gefüllt werden. »Mai fünfundvierzig – da ist der Amerikaner gekommen. Da hat sich so manche Kugel verirrt.«
»In dem Fall war es eine deutsche Kugel.«
»Auch das ist vorgekommen, dass da jemand von den eigenen Leuten getroffen wurde. Das waren ja keine ausgebildeten Soldaten mehr, die da verteidigt haben. Das war das letzte Aufgebot. Die haben doch auf zehn Meter kein Scheunentor getroffen.« Kieling warf den Bierdeckel wieder auf den Stoß mit den anderen Bierdeckeln und nahm einen Schluck aus seinem Glas.
»Kann sein. Aber wir wissen nicht, wer es war und warum die Frau erschossen wurde, geschweige denn unter welchen Umständen. Es ist allerdings merkwürdig, dass sie hier in Dürnbach begraben ist, aber niemand sie kennt.« Wallner sah Ruperti an. »Ich meine, wenn Sie als Bürgermeister und Frauenkenner sie nicht gekannt haben …«
»Es is ja net g’sagt, dass sie von hier war, wenn sie hier begraben ist«, wandte Haltmayer ein.
»Irgendeinen Bezug zu Dürnbach muss es ja geben. Ich denke, zumindest der, der sie begraben hat, war von hier.«
»Das war doch die Kapelle vom Kreuzbauern«, sagte Ruperti. »Wahrscheinlich einer aus der Familie.«
»Bei denen kann sich aber keiner erinnern. Außerdem war der alte Hof mit der Kapelle die meiste Zeit vermietet.«
Nicole kam, um Rupertis Krug zu holen. »Das müssen die doch wissen, an wen sie den Hof vermietet haben«, sagte sie im Vorbeigehen.
»Ganz so einfach ist das nicht«, klärte Wallner die Runde auf. »Von damals lebt nur noch die Bäuerin. Und die sagt, sie hätte mit den Geschäften ihres Mannes nichts zu tun gehabt. Und Unterlagen gibt es auch keine. Weil der Alte den Hof immer nur gegen Barzahlung vermietet hat, wegen der Steuer. Bis in die sechziger Jahre hat jedenfalls keiner dort gewohnt. Ende der Sechziger, sagt die Bäuerin, ist jemand eingezogen. Möglicherweise hatte der alte Bauer
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