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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
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von ihrem Thron herunter und ging in die hintere Zimmerecke. Sie kniete sich neben das Bett und verschwand für einen Moment. Katya hörte Faruha ächzen und sah sie wenige Sekunden später eine schwere Metallkassette aufs Bett wuchten. Sie holte einen Schlüssel von einem Haken an einer Pinnwand und schloss die Kassette auf.
    »Der, den sie anscheinend am besten von allen leiden konnte – nämlich dieser Eric –, hatte ein Auto und jede Menge freie Zeit«, erzählte Faruha weiter. »Er fuhr mit ihr überallhin. Das war toll für sie, weil sie durch ihn auf einmal auch dorthin konnte, wo sie sonst nie reingekommen wäre, zum Beispiel in den amerikanischen Compound.«
    Jetzt schrieb Katya wie wild mit. »Wie haben die beiden sich kennengelernt?«
    »So wie sie alle kennengelernt hat – durch die Filmerei.«
    »Haben Sie Leila auch so kennengelernt?«, fragte Katya.
    Faruha sah sie an, als wüsste sie nicht recht, ob sie beleidigt sein sollte – und Katya wurde klar, wie man ihre Frage verstehen konnte: Eine Zwergin, wer würde so was nicht gerne filmen? Doch Faruha schüttelte den Kopf. »Wir sind zusammen zur Schule gegangen, bis meine Eltern mich runtergenommen haben.«
    »Von der Schule?«
    Faruha nickte. »Sie hätten zu viel Angst um mich, haben sie gesagt, und es stimmt, ich musste an Hänseleien ganz schön was einstecken, aber im Grunde haben sie sich meinetwegen zutiefst geschämt, bis heute.« Sie stand noch immer neben dem Bett, aber jetzt starrte sie Katya an, als erwartete sie von ihr, dass sie eine derart rücksichtslose elterliche Entscheidung verurteilte oder wenigstens eine halbherzige mitleidsvolle Bemerkung machte. Als Katya nicht reagierte, beugte Faruha sich über die Kassette und begann, darin herumzukramen.
    »Jedenfalls«, sagte sie, »Leila und Eric sind sich in einem Einkaufszentrum begegnet. Ich weiß nicht mehr, in welchem. Leila hat irgendwas gefilmt, und Eric hat sie angesprochen und gefragt, ob sie beim Fernsehen wäre. Sie sind ins Gespräch gekommen …« Endlich hatte Faruha gefunden, was sie suchte, und überreichte es Katya. Es war eine quadratische Box. Darin befanden sich ordentlich aufgereiht drei Dutzend DVDs in Plastikhüllen. »Das«, sagte Faruha, »sind die gesammelten Werke von Leila Nawar.«
    Katya nahm die Box entgegen – sie wurde ihr praktisch in den Schoß gelegt – und strich erstaunt, verwirrt und mit dem gefährlichen Drang, aufzuspringen und einen Freudenschrei auszustoßen, über die DVDs.
    »Falls Sie von ihrem Bruder irgendwas bekommen haben«, sagte Faruha, »dann war das bloß das harmlose Material. Das hier ist der ganze Rest.« Sie deutete stolz und warnend zugleich mit dem Kinn auf die Box. »Falls Leila von jemandem getötet wurde, den sie bei ihren Abenteuern kennengelernt hat, dann finden Sie da drin ganz bestimmt irgendwelche Anhaltspunkte.«
    »Und wieso sind die DVDs hier bei Ihnen?«, fragte Katya.
    »Sie hatte panische Angst, ihr Material zu verlieren, deshalb hab ich mich bereit erklärt, ihre Sicherungskopien in Verwahrung zu nehmen.«
    »Sie muss froh gewesen sein, Sie zur Freundin zu haben.«
    »Wie ich schon sagte«, Faruha kletterte wieder auf ihren Stuhl. »Leila hatte großes Glück. Wollen Sie mich nicht fragen, wo ich zum Zeitpunkt ihres Verschwindens war?«
    Katya hätte fast geschmunzelt, aber in Faruhas amüsiertem Tonfall schwangen Erbitterung und Leid mit. »Wo waren Sie?«
    »Hier, wie immer.«
    Osama saß auf einem der cremefarbenen Sofas, Faruhas jüngerer Bruder auf dem anderen ihm gegenüber und passte auf ihn auf, was ziemlich ulkig war, denn der Junge war gerade mal sechs. Er war im Augenblick der einzige Mann im Haus und damit de facto der Mann im Haus. Seine Mutter – zumindest vermutete Osama, dass sie das war – hatte ihn in den Raum geführt und ihm gesagt, er solle dem Gast Gesellschaft leisten. Sie hatte nicht erklärt, wer Osama war, was den Jungen aber nicht zu kümmern schien. Seine Beine waren so kurz, dass sie kerzengerade über die Sofakante ragten. Er hatte irgendein Computerspiel in der Hand und konnte den Blick höchstens mal eine Sekunde davon losreißen. Dann schaute er kurz zu Osama hinüber, leckte sich nervös über die Lippen und widmete sich erneut verbissen seinem Spiel.
    Das Piepen und Klingeln war die perfekte Begleitmusik zu Osamas trüber Stimmung, die noch düsterer wurde, je länger die Minuten dahinschlichen. Einerseits war er erleichtert gewesen, nicht dabei sein zu

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