Totgesagt
er.
Er stieg die Leiter hinunter, legte Nagel und Hammer auf den Rollwagen und verschwand aus meinem Blickfeld. Die Doppeltür wurde zugeworfen. Der Alarm klang nun gedämpfter. Draußen hörte ich Stimmen – miteinander streitend -, dann wurde es still.
Bis auf die Alarmanlage.
Ich bewegte meine rechte Hand. Die Handschellen schlossen sich dicht um mein Gelenk. Ich spürte die metallenen Bögen und malte mir aus, dass sie mehrere Hautschichten durchgescheuert hatten. Ich konzentrierte mich ganz darauf, mir vorzustellen, wie meine Haut dort aussehen mochte – rotgefleckt wie eine Schürfwunde, vielleicht mit ein paar dunkleren Prellungen -, weil die Schmerzen in meinem Rücken, in den Fingern meiner linken Hand und in den oberen Partien meiner Beine kaum auszuhalten waren. Sie wüteten wie donnernde, gewalttätige Flutwellen.
Wieder schloss ich die Augen.
In der Dunkelheit war nichts. Nur Schwärze und Stille. Dann kam es mir vor, als ob mich jemand umdrehte, und plötzlich tauchte vor mir eine Tür auf.
Auf der anderen Seite war ein Licht. Es kam mir bestürzend grell vor: Es schien durch das Schlüsselloch hindurch, durch die Ritzen im Holz, eine Verwachsung auf halber Höhe, in der ich zwei nadeldicke Löcher bemerkte. Ich bewegte mich auf die Tür zu, schaute auf den Knauf hinunter und fühlte, wie ich die Hand ausstreckte. Ich konnte meine Arme nicht sehen, griff nicht wirklich mit den Fingern zu, konnte aber spüren , dass meine Hand auf dem Türknauf lag.
Dann hielt ich inne.
Ich spürte, dass sich mir jemand von hinten näherte. Spürte die Gegenwart eines Menschen. Und diese Gegenwart wurde von einem vagen Geräusch begleitet. Einem Geräusch, das ich erkannte. Ich ließ den Türknauf los, und mir wurde klar, dass es brechende Wellen waren, die ich hörte; sie schlugen ans Ufer.
Dies war das Geräusch, das ich an dem Abend gehört hatte, als ich Derryn das erste Mal begegnet war.
Ich spürte, wie der Mensch, dessen Gegenwart ich wahrgenommen hatte, mir zunickte. Mir sagte, dass alles gut war.
Wartet Derryn hinter dieser Tür auf mich?
Keine Antwort.
Ich will meine Frau sehen.
Ich spürte, wie der Unbekannte sich entfernte.
Bitte, lasst mich meine Frau se…
»David?«
Ich öffnete die Augen. Ich sah einen Mann, der zu mir aufblickte: ungepflegt, die Haut mit Schmutz beschmiert. Er wirkte wie ein Obdachloser: fleckige, schlecht sitzende Kleidung; die Kapuze seiner Jacke hochgeschlagen, ein ungepflegter Bart, der das Gesicht dominierte. Ich verlor mehrfach hintereinander das Bewusstsein, um kurz darauf wieder zu mir zu kommen. Es war kaum zu unterscheiden, in welchem Zustand ich mich gerade befand.
Er trat einen Schritt näher heran.
Etwas flackerte in mir auf, ein winziger Funke des Wiedererkennens. Dann war es wieder fort. Doch als er einen weiteren Schritt auf die Leiter zutrat, zwang ich die Erinnerung aus den Tiefen meines Bewusstseins empor. Dies war der Mann, der mein Auto aufgebrochen hatte. Der Mann, den ich vor dem Angel’s aus den Augen verloren hatte. Der Mann, den ich vor meinem Haus beobachtet hatte. Ich kannte ihn. Hatte ihn die ganze Zeit gekannt.
»Alex …«
Er schaute an mir vorbei zu der Doppeltür, dann stieg er die Sprossen hoch. Ohne mich aus den Augen zu lassen, öffnete er den Reißverschluss seines Mantels und zog einen Bolzenschneider hervor. Er legte ihn an die Kette zwischen den Handschellen und schnitt sie durch.
Schnapp.
Die Handschellen fielen herunter.
Alex fing meinen Arm auf; trotzdem brachte mich die Bewegung aus dem Gleichgewicht. Ich wackelte auf der Fußstütze; das Kreuz vibrierte, als mein Oberkörper nach vorn sackte, doch er drückte eine Hand flach auf meine Brust, um mich zu stützen. Langsam senkte er meinen Arm an meine Seite.
Er stieg die Leiter hinab, hob sie an und stellte sie unter die linke Seite des Querbalkens. Dann stieg er wieder zu mir hoch.
»Ich werde die Nägel herausziehen«, sagte er. Seine Stimme klang sanft, beinahe beruhigend. Ein kompletter Gegensatz zu seinem Aussehen. »Es wird wehtun. Aber Sie müssen unbedingt still sein. Wenn Sie schreien, wenn Sie irgendeinen Laut von sich geben, dann wird man es hören – trotz des Alarms.«
Er deponierte den Bolzenschneider auf dem Querbalken
und umfasste mit einer Hand langsam das Ende des Nagels in meinem Zeigefinger. Er warf mir einen kurzen Blick zu, ehe er sich wieder auf den Nagel konzentrierte.
Dann riss er ihn heraus.
Der Schmerz war gewaltig – als hätte man
Weitere Kostenlose Bücher