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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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geneigtem Kopf undfragender Miene auf ihn herab. »Was schreibt er denn?«, fragte sie. »Wann hat er ihn abgeschickt? Ich sollte jetzt wirklich los«, sagte sie noch einmal. Sie hatte eine neue Frisur; ihr Haar war gelockt und mit einem rosafarbenen Band zusammengebunden. Sie wirkte selbstsicherer, spitzbübischer.
    John ging schnell die Blätter durch. Es waren acht, eng beschrieben auf beiden Seiten. Eigentlich hatte er Elaine packen wollen, hatte das Unbehagen der Autofahrt durch eine lustvolle Begegnung ihrer Körper vertreiben wollen. Er wollte zu seinem gewohnten Leben zurück. Vaters Brief verwirrte ihn. Er sollte nicht da sein, aber ignorieren konnte John ihn auch nicht. »Wir sehen uns später«, sagte sie. Sie war schon an der Tür. »Ich muss gehen.«
    »Lieber John, seit einiger Zeit werde ich von Träumen geplagt, oder vielleicht sollte ich sagen gesegnet, Träumen von Flüssen und Meeren, Träumen vom Wasser. Es besteht kein Zweifel, dass diese Träume, auch wenn ich mich nur an drei oder vier erinnern kann, eine Folge bilden. Wenn man zum Beispiel auf sie stieße wie auf eine Reihe unzusammenhängender Film-Szenarien, dann käme man trotzdem nicht umhin, eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihnen festzustellen, so wie man bei Menschen der gleichen Rasse …«
    John warf die Blätter zu Boden. Er stand auf und ging in die Küche. Warum um alles in der Welt hatte sein Vater auf dem Sterbebett beschlossen, ihm so etwas zu schreiben? Dazu noch in diesem unangenehm belehrenden Tonfall, der ihm zu eigen war. John setzte Wasser auf und rief im Labor an. Es war sechs Uhr abends.
    »Es gibt mehr Neuigkeiten, als dir lieb sein kann«, sagte Martin sarkastisch. Er war Arzt im praktischen Jahr. »Eine australische Uni hat etwas veröffentlicht, das genau in unserem Arbeitsbereich liegt.«
    John hatte eigentlich über den Verlauf der verschiedenen Experimente sprechen wollen. Es gab ein Protein, das siesynthetisch herzustellen versuchten, und Gene, die sie isolieren wollten. Stattdessen erfuhr er, dass ein Forscherteam an der Universität von Adelaide ein Enzym entdeckt hatte, welches das Ribosom des Tuberkelbakteriums dazu brachte, fehlerhafte Kopien von sich selbst zu erzeugen.
    »Ist Simon noch da?«, fragte er.
    Die anderen waren alle in einer Besprechung bei Glaxo, erklärte ihm Martin.
    John legte auf. Der Hauptmieter dieser Wohnung, Peter, schlug sich als Sportreporter durch. Die Wände waren mit Postern von Sportgrößen und hübschen Models gepflastert: willige, verführerische Mädchen, junge Männer in Aktion, die entschlossen die Zähne zusammenbissen. Mit einem Becher Tee in der Hand schlurfte John zurück in sein Zimmer und griff erneut nach dem Brief seines Vaters. Von der Bank war auch etwas gekommen.
    »Der erste Traum« , las er, »oder vielmehr der erste, an den ich mich erinnern kann, denn ich habe ja erst, als mir klar wurde, dass diese Träume sozusagen eine Folge bilden, beschlossen, mich eingehender mit ihnen zu beschäftigen und rückblickend nach einer inneren Logik zu suchen, die …«
    Soll ich diesen Blödsinn wirklich lesen? fragte sich John. Er war unruhig. Vielleicht könnte er direkt bei Glaxo anrufen. Die Schrift seines Vaters war stark, aber gleichmäßig geneigt, so als habe er heftige Erschütterungen beim Schreiben entschlossen kanalisiert und bezwungen.
    »… am Meer beginnt. Ein weiter Strand. Vielleicht in Cromer. Vielleicht auch in Indonesien oder Goa. Ich mache Ferien mit einer Gruppe, einem Dutzend Leute, die zitternd direkt am Wasser stehen. Ich bin allein hinter ihnen. Ich beschließe, ein bisschen anzugeben; ich nehme mir vor, an ihnen vorbeizurennen und mich ins Meer zu stürzen. Ich ziehe meine Sachen aus und laufe los. Als ich die anderen erreiche, wird mir klar, dass ich meine Badehosenicht angezogen habe. Ich bin splitternackt. Ich renne noch schneller auf das Meer zu, nur um zu erkennen, dass kein Wasser da ist. Der Sand dehnt sich endlos aus. Ohne Badehose kann ich nicht umkehren. Ich komme an ein niedriges Geländer, ähnlich wie die, mit denen Arbeiter ein Loch in der Straße absperren. Und da ist auch ein Loch, im Sand, gefüllt mit schwarzem Brackwasser. Ich stürze mich über das Geländer in das Loch.«
    John trank seinen Tee. Vater hatte immer codiert kommuniziert. Das machte seinen Charme aus und war sein Verhängnis. Hätte jemand anders diese Zeilen geschrieben, hätte John sie sofort in den Papierkorb geworfen.
    »Im zweiten Traum ist nicht überall

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