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Traumtagebuecher

Traumtagebuecher

Titel: Traumtagebuecher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Sarafin
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Händen über die bloßen Arme. Mein Gesichtsausdruck verriet, was ich von der geschlossenen Tür und seiner Beobachtungsgabe hielt.
    »Ich bin kein böser Mensch, und ich will Ihnen nichts Böses.«
    Wow, also DAS wäre wirklich einmal etwas Neues! Ich sprach den Gedanken nicht aus, sondern schaute mich aus dieser Position noch einmal um. Ein Bild von Freud, eines von Jung und – wahrscheinlich konnte sich Slater einfach nicht entscheiden – von Picasso. Und ein ganz kleines, sehr verstecktes im Bücherregal. Es stand neben einer sechsbändigen Enzyklopädie der Psychologie und zeigte eine strahlende Frau mit zwei entzückenden Kindern.
    Der Anblick versetzte mir einen Stich. »Ihre Familie?«
    »Ja.« Ein kurzes, ehrliches Lächeln schoss über Slaters Gesicht, bevor er wieder seine professionelle Miene aufsetzte. Ich stand auf und ging zu dem Schrank, wobei ich die vielen unterschiedlichen Bücher bewunderte. Entweder konnte sich Slater tatsächlich nicht entscheiden, oder er war einfach ein sehr offener, kompetenter Mensch. Klar, und mich hatte Walt Disney erzogen!
    Ich nahm das Bild in die Hand und drehte den schweren Silberrahmen so, dass ich die Personen besser betrachten konnte.
    »Ist es nicht verboten in derselben Schule zu praktizieren, auf die die eigene Tochter geht?«, riet ich ins Schwarze hinein. Das leicht schiefe Grinsen der älteren Tochter hatte sich in den letzten Jahren eindeutig zum Schlechteren entwickelt. Aber das wusste ihr Vater, Professor von und zu, sicherlich nicht.
    »Wir haben zwei Schulpsychologen und zwei Vertrauenslehrer, von daher ist es kein Problem. Im Gegenteil.«
    Oh ja, wer träumte nicht davon, den eigenen Vater jeden Tag in der Schule zu sehen? Das erklärte eine Menge über die schlechte Laune von Jessica. Vielleicht sogar, warum die Dunkelhaarige ausgerechnet das Echo von Miss Superschülerin Rebecka Morgen geworden war und Neuankömmlinge mobbte.
    »Ich meinte nicht Jessica, sondern die Schüler, die ein Problem mit ihr haben …«
    »Was hat sie gemacht?«
    Ich stutzte und stellte das Bild wieder an seinen Platz. Normalerweise fragte man doch »Sie sind ihr begegnet?«, »Es gibt Schüler, die Probleme mit ihr haben?« oder Ähnliches. Als ich mich zu Slater umdrehte, schrie sein freundliches Gesicht förmlich danach, ihn zu unterschätzen und mehr preiszugeben, als ich eigentlich wollte. Entweder wusste er wirklich, dass seine Tochter ein Miststück war, oder ich war leicht zu durchschauen. Aber bitte, wenn er unbedingt auf ehrlich und vertrauensvoll machen wollte. »Sie ist kein einfacher Mensch, oder?«
    »Pubertät!« Slater setzte sich. Sehr unprofessionell, wenn die Verrückte noch stand. Dann legte er die Hände zusammen, als könne er sich so wieder erden. Der Blitzableiter nach dem Blitz. »Aber es geht hier nicht um Jessica oder um mich, sondern um Sie, Elisabeth.« Er sah mich über den Rand seiner rahmenlosen Brille hinweg an. Ein Trick, der einen merkwürdigen Effekt hatte, denn vorher hatten die dicken Gläser seine Augen vergrößert. So unnatürlich, dass man sich beinahe nicht auf den Blickkontakt einlassen konnte.
    Ich setzte mich. »Was wollen Sie wissen, Doc?«
    »Wie war der erste Tag? Ich habe gehört, es kam zu einigen … Unstimmigkeiten.«
    »Der erste Tag war ganz in Ordnung …«, begann ich, stoppte aber, als ich die kurze Veränderung in seiner Haltung bemerkte. Ich würde hier erst wieder rauskommen, wenn ich wenigstens ein bisschen von der Wahrheit preisgab. »Mein Stiefbruder hasst mich und hat mir versprochen, mir das Schuljahr zur Hölle zu machen, Ihre Tochter ist eine seiner guten Freundinnen und der Junge, der dafür gesorgt hat, dass ich sechs Jahre in Saint Blocks verbracht habe, ist nur eine Stufe höher als ich …«
    »Belastet Sie das?«
    Ich musste lachen.
    »Ist das ein Ja oder ein Nein?«
    Ich kicherte immer noch und dieses Mal war kein David da, um mich durch die Projektion auf meine Wut von der Hysterie fernzuhalten. »Es ist die Hölle!«
    »Aber Sie haben heute erreicht, dass Ihre Unschuld festgestellt wurde.«
    »Das macht die letzten Jahre nicht ungeschehen.«
    »Und Ihr Stiefbruder?«
    Ich zuckte mit den Achseln.
    »Wie fühlen Sie sich? Erleichtert? Wütend? Verletzt?«
    Ich starrte auf meine Hände. Ehrlich, ich habe keine Ahnung und ich wusste auch nicht, was die richtige Antwort war. Die Gespräche in Saint Blocks waren immer anders gelaufen. Unpersönlicher, gezwungener. Das hier war … beinahe nett.
    Slater

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