Troposphere
fragen, wo du wohnst: Sie konnten einfach in die Personalabteilung gehen und dort nachsehen. Also habe ich ihnen wieder gesagt, dass ich nichts wüsste. Dann drohten sie mir. Sie sagten so was wie: ›Wenn Sie es uns nicht erzählen, tragen Sie die Konsequenzen.‹«
Adam zuckt mit den Schultern.
»Ich dachte mir, dass sie mir allenfalls wehtun könnten, also wartete ich einfach ab, was als Nächstes käme.« Er zeigt auf sein Gesicht. »Das ist das Ergebnis.«
»Ich kann gar nicht sagen, wie leid mir das tut …«, beginne ich.
Adam lächelt, aber nur mit der unteren Hälfte seines Gesichts. »Na ja, das ist allerdings nicht das Merkwürdigste, was passiert ist. Zunächst haben sie mich geschlagen. Einer von ihnen packte mich und hielt mich an den Armen fest, während der andere mir … ich weiß nicht genau, drei- oder viermal ins Gesicht schlug. Es erinnerte mich an die Prügeleien in der Schule, in der Mittagspause. Dieser Typ schien zu denken, er hätte alle Zeit der Welt, mir einen Schlag nach dem andern zu versetzen. Er schlug mich, machte eine Pause und blies sich in die Hände, weil es so kalt war, und dann schlug er mich nochmal.«
»Mein Gott«, sage ich.
»Dann meinte der Mann, der mich festhielt: ›Das bringt nichts. Das ist ein frommer Zeitgenosse, der sich vermutlich für Jesus Christus hält oder so. Wir könnten ihn ans Kreuz nageln, und er würde uns trotzdem nichts verraten.‹ Der andere erwiderte etwas wie: ›Na ja, so was hier hatten die Römer nicht, oder?‹ Und dann zog er seine Pistole raus. Ich muss zugeben, dass er recht hatte: In dem Moment hatte ich plötzlich sehr viel mehr Angst. Ich wehrte mich, und der Mann, der mich festhielt, rutschte auf dem Eis aus und ließ mich los. Da ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, lief ich in die Kapelle, wobei ich fast hingefallen wäre, und warf die Tür hinter mir zu. Ich dachte an den heiligen Thomas und versuchte mich mit dem Gedanken an den Tod abzufinden. Es war leichter, als ich dachte. Ich wusste, dass ich wahrscheinlich sterben würde, obwohl mir zur gleichen Zeit bewusst war, wie absurd es wäre, in der Universitätskapelle erschossen zu werden. Ich suchte instinktiv Schutz hinter einer der Kirchenbänke, aber ich wusste, dass im nächsten Moment die Tür aufgehen würde, und dann würden sie reinkommen und mich erschießen. Es gab kein Entkommen.«
Inzwischen habe ich aufgehört zu essen. Das alles ist verrückt. »Und was ist dann passiert?«
»Die Tür ging auf – ich glaube, sie haben sie eingetreten –, aber sie sind nicht reingekommen. Knapp fünf Minuten standen sie da draußen und riefen irgendwas herein. Sie fluchten nur und versuchten mich dazu zu bringen rauszukommen. Sie beschrieben sehr ausführlich, was sie dir antun würden, wenn ich nicht rauskäme – aber ich habe nicht hingehört und zum ersten Mal seit Jahren wieder gebetet. Ich hörte, wie sie sich wegen ihrer Pistolen stritten und darüber, was sie als Nächstes tun sollten. Irgendwann sagte der eine von ihnen zu dem andern: ›Geh einfach rein und leg ihn um.‹ Aber der andere sagte: ›Du bist verrückt, wenn du glaubst, ich gehe da rein und verliere mein …‹ Irgendwas – ich hab nicht verstanden, was das war.« Adam trinkt noch einen Schluck Wasser. »Jedenfalls ist das der Grund, warum ich glaube, dass du hier sicher bist. Ich hatte den Eindruck, dass sie der Ansicht sind, Gotteshäuser nicht betreten zu können.«
»Aber was geschah danach? Sind die einfach weggegangen?«
»Ja. Na ja, schließlich. Es kam mir wie Stunden vor, aber es können nur ungefähr fünf Minuten gewesen sein. Keiner von beiden wollte in die Kapelle gehen, und ich ging nicht raus. Ich glaube, sie hielten nicht viel von einer Belagerung, bei der sie tagelang hätten im Schnee stehen müssen, während ich mich drinnen von Hostien und Messwein ernähre.«
»Ich glaube, das ist das Mutigste, was ich …«, beginne ich.
»Sag das nicht.« Adam hebt beschwichtigend die Hände. »Nachdem sie gegangen waren, habe ich so sehr gezittert, dass ich rund zwanzig Minuten lang nicht aufstehen konnte. Als ich schließlich doch aufgestanden bin, habe ich den ganzen Messwein ausgetrunken. Ich bin nicht mutig.«
Ich sollte ihm heftiger widersprechen. Aber etwas beschäftigt mich.
»Du hast vorhin was gesagt. Etwas, was du nicht verstanden hast. Was war das?«
Adam hat einen Löffel genommen und isst seinen Eintopf so gelassen, als hätte er mir die Fußballergebnisse erzählt und
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