Ueber Deutschland
auf dem Wege der Ordnung nicht fortzukommen ist, so bricht er sich durch das Laster Bahn; das Leben ist für ihn eine Art von Wahnsinn, der sich bald durch Wuth, bald durch Reue Luft macht.
Die Liebesscenen zwischen dem jungen Mädchen und dem Räuberhauptmann, für den sie bestimmt war, sind Meisterstücke des Enthusiasmus und der Empfindsamkeit; es giebt wenig interessantere Lagen, als die der tugendhaften Amalia, deren Herz noch immer für den schlägt, den sie liebte, als er noch ihrer Liebe werth war. Die Verehrung, woran sich ein Frauenzimmer gegen denjenigen gewöhnt, dem sie ihr Herz geschenkt hat, verwandelt sich hier in eine Art von Schrecken und Mitleid, und man sollte glauben, die unglücklich Liebende schmeichle sich, noch einst im Himmel der Schutzengel ihres gefallenen Freundes zu werden, dessen glückliche Gattin sie hier auf Erden nicht mehr zu seyn hoffen darf.
Das Schillersche Stück läßt sich in der französischen Uebersetzung nicht beurtheilen. Hier hat man bloß, wenn ich mich so ausdrücken kann, die Pantomime der Handlung beibehalten; die Urfarbe der Charaktere ist verschwunden, sie, die allein einer Dichtung Leben giebt; die schönsten Tragödien würden zu Melodramen herabsinken, wenn man ihnen die lebendige Schilderung der Gefühle und der Leidenschaften nehmen wollte. Die Macht der Ereignisse reicht nicht hin, den Zuschauer an die handelnden Personen zu ketten; diese Personen mögen sich lieben oder sich ermorden; gleichviel, wenn der Verfasser das Mitgefühl für sie nicht rege gemacht hat.
Don Carlos ist ebenfalls eine Jugendarbeit Schillers, und gleichwohl achtet man dieses Werk als eines von der ersten Classe. Don Carlos ist ein so dramatischer Stoff, als je die Geschichte ihn darbieten konnte. Eine junge Prinzessin, Tochter Heinrichs II. von Frankreich, verläßt den glänzenden ritterlichen Hof ihres Vaters, um einem alten Tyrannen ihre Hand zu geben, dessen finstere, störrische Herzlosigkeit sogar das Gemüth der Spanier ergriff, und der Nation während seiner Regierung, und eine geraume Zeit nachher, ihren Stempel aufdrückte. Don Carlos, früherhin mit Elisabeth verlobt, liebt sie noch, obgleich sie seine Stiefmutter geworden. Zwei große politische Ereignisse, die Reformation und der Aufstand in den Niederlanden, greifen in die tragische Catastrophe des Sohnes, den sein Vater zum Tode verdammt, ein. Das persönliche Interesse ist in diesem Trauerspiele mit dem öffentlichen Interesse im höchsten Grade vereint.
Mehrere Dichter haben diesen Stoff in Frankreich bearbeitet; keiner von ihnen konnte es aber, unter der alten Regierung erlangen, daß sein Stück aufgeführt würde. Man glaubte es dem spanischen Throne schuldig zu seyn, diesen Zug der spanischen Geschichte nicht auf die Bühne zu bringen. Als man einmal bei dem Grafen von Aranda, diesem durch die Unbiegsamkeit seines Willens und seinen beschränkten Verstand so berühmten Gesandten am französischen Hofe, um die Erlaubniß nachsuchte, Lemerciers Trauerspiel, Don Carlos, aufführen zu lassen, welches so eben fertig geworden, und von dem sich der Verfasser viel versprach, antwortete der Graf: «Warum wählte er kein ander Süjet?» – Aber bedenken Ew. Excellenz, daß sein Stück fertig ist, daß er drei Jahre darauf verwendet! – «Aber, mein Gott, gab der Botschafter zur Antwort, giebt es denn in der Geschichte keine andere Begebenheit? Er darf ja nur ein ander Süjet wählen.» Und vergebens suchte man ihn aus diesem Schlußkreise zu bringen, in welchen ein fester Wille ihn gebannt hielt.
Die historischen Stoffe sind für das Talent eine Uebung von ganz verschiedener Art, als die reinen Erdichtungen; vielleicht erfordert es noch mehr Einbildungskraft, die Geschichte in einer Tragödie vorzustellen, als Lagen und Personen nach Gefallen zu schaffen. Thatsachen, die man auf die Bühne bringt, lassen sich nicht wesentlich verändern, ohne ein unangenehmes Gefühl zu erregen; man ist auf Wahrheit vorbereitet, und wird peinlich berührt, wenn der Verfasser dem Erwarteten irgend eine Dichtung unterschiebt. Gleichwohl bedarf die Geschichte einer künstlichen Behandlung, um auf der Bühne Wirkung zu machen, und die Tragödie muß zugleich das doppelte Talent in sich schließen, die Wahrheit zu malen und sie poetisch darzustellen. Schwierigkeiten einer andern Gattung entstehen, wenn die dramatische Kunst sich in das weite Feld der Erfindung wagt; es scheint anfangs, der Geist sey freier, gleichwohl ist nichts seltener
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