Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
Vom Netzwerk:
Thecla zweifeln zu wollen; nur hat man es anstößig gefunden, bei dieser Gelegenheit Musik in einem Trauerspiele zu hören; nichts wäre leichter, als die Trompeten wegzulassen; aber warum sich die Wirkung versagen, die sie machen? Die kriegerische Musik, die in das Feld, die zur Schlacht ruft, rührt hier den Zuschauer, wie sie die Liebenden rührt, die sich nie wiedersehen sollen; sie malt durch ihre Töne die Lage des zerrissenen Herzens; eine neue Kunst verdoppelt den Eindruck, den eine frühere vorbereitet hatte; Klänge und Worte erschüttern wechselsweise unsre Einbildungskraft und unser Gemüth.
    Zwei Auftritte ganz neuer Gattung auf unserer Bühne, sind ebenfalls in diesem Stücke den französischen Lesern aufgefallen. In der ersten erkundigt sich Thecla bei dem sächsischen Officier, der die Nachricht, daß Alfred (Max), weil er sterben wollen, geblieben sey, hinterbrachte, nach allen Umständen dieses entsetzlichen Todes; in der zweiten macht sie, nachdem sie ihre Seele mit Schmerz getränkt, den Entschluß bekannt, am Grabe ihres Geliebten zu leben und zu sterben. In beiden Scenen ist jeder Ausdruck, jedes Wort, aus der tiefsten Empfindungsquelle geschöpft; allein man hat behaupten wollen, das dramatische Interesse höre mit der Ungewißheit auf. In Frankreich eilt man, in jeder Gattung der Dichtungen, zum Schluß, sobald die Handlung unwiderruflich zu Ende ist. In Deutschland hingegen fühlt man mehr Neugierde zu wissen, was die Personen empfinden, als was ihnen begegnet; verweilt gern bei einer Lage, die als Handlung vollendet ist, aber als leidendes Gefühl noch fortdauert. Es erfordert einen größern Reichthum von Poesie, von Empfindung, es erfordert eine größere Richtigkeit im Ausdruck, dann noch zu rühren, wenn die Handlung zur Ruhe gebracht worden ist, als wenn sie einer noch immer steigenden Aengstlichkeit Raum giebt; man achtet kaum auf die Worte, wenn die Begebenheiten noch in Ungewißheit schweben: wo aber alles schweigt, nur der Schmerz nicht; wo von außen keine Veränderung eintritt, und das Interesse sich einzig mit dem beschäftiget, was in der Seele vorgeht; da würde der leiseste Anstrich von Künstelei, da würde Ein Wort an unrechter Stelle Herz und Ohr zerreißen, wie ein falscher Ton in einem einfachen melancholischen Liede. Nichts schleicht sich hier unter Vergünstigung des Knalleffects durch; alles gelangt vor den Richterstuhl des Herzens.
    Die am allgemeinsten wiederholte Critik des französischen Wallensteins, betrifft den Character Wallensteins; er ist, sagt man, abergläubig, ungewiß, unentschlossen, und stimmt nicht zum Heldenmaße, nach welchem man Rollen dieser Art vorzeichnen und bearbeiten solle. Allein die Franzosen verstopfen sich selbst eine unendliche Quelle von Wirkungen und Rührungen, indem sie die tragischen Charactere, wie die Musiknoten und die Farben des Prisma, auf wenige hervorstechende immer wiederholte Züge beschränken; bei ihnen muß jede ihrer Personen sich nach einem der vornehmsten bekannten Vorbilder modeln. Bei uns, sollte man sagen, ist die Logik die Grundlage aller Künste, und jene wellenartige Natur, von welcher Montaigne spricht, ist aus unsern Tragödien verbannt; sie gestattet nur ganz gute oder ganz arge Gefühle, und doch ist im menschlichen Gemüth nichts von beiden ungemischt.
    In Frankreich wird über eine tragische Person wie über einen Staatsminister für und wider gesprochen; man beschwert sich über das, was er thut oder nicht, als hielte man ein Zeitungsblatt in der Hand, das ihm sein Urtheil spricht. Die Absprünge und Widersprüche der Leidenschaften sind auf der französischen Bühne erlaubt, nur nicht die Folgewidrigkeit der Charactere. Da jedermann mehr oder weniger den Gang der Leidenschaften kennt, so ist man auf ihre Irrungen vorbereitet, man begreift so zu sagen ihre Widersprüche im Voraus; dagegen hat der Character immer etwas überraschendes, und läßt sich in keine Regeln einschließen. Bald nähert er sich seinem Ziele; bald entfernt er sich wieder davon. Hat man einmal von jemand in Frankreich gesagt: «Er weiß nicht was er will!» so hört alles Interesse für ihn auf; da es doch gerade der Mensch ist, «der nicht weiß was er will,» in welchem sich die Natur mit einer wahrhaft tragischen Kraft und Unabhängigkeit zeigt.
    Shakespeare's Personen erwecken oft in Einem Stücke bei den Zuschauern ganz entgegengesetzte Gefühle. Richard II. erregt, in den ersten drei Acten des Trauerspiels dieses Namens,

Weitere Kostenlose Bücher