Ueber Deutschland
Widerwillen und Verachtung; dann aber, als ihn das Unglück erreicht hat, als er gezwungen wird im vollen Parlament seinem Feinde den Thron abzutreten, rührt diese Lage und sein dabei bewiesener Muth zu Thränen. Man ehrt in ihm den königlichen Edelsinn, der im Unglück wieder aufblickt, und die Krone scheint aufs neue auf dem Haupte desjenigen zu schweben, dem man sie raubte. Shakespear bedarf nur weniger Worte, das Gemüth seiner Zuhörer zu stimmen, zu lenken, sie vom Haß zum Mitleid überzuführen. Die unzähligen Abweichungen des menschlichen Herzens machen die Quelle unversiegbar, aus welcher das Talent schöpft.
Man wird sagen: in der Wirklichkeit seyen die Menschen unzusammenhängend und abspringend; in der Wirklichkeit finde man die schönsten Eigenschaften mit elenden Fehlern untermischt; nur müsse man dergleichen Charactere und Widersprüche nicht auf die Bühne bringen; nur mache die dramatische Kunst eine schnelle Handlung zur Pflicht; daher könne man in diesem beschränkten Rahmen nur starke Züge und treffende Lagen anbringen. Folgt aber daraus, daß man nicht über Personen hinausgehen dürfe, die so zu sagen, ganz aus dem Guten oder aus dem Bösen gehauen, und zu unveränderlichen Bestandtheilen unserer Trauerspiele gemacht worden sind? Auf welchen Einfluß würde die Bühne in die Moralität der Zuschauer Anspruch machen können, wenn man ihnen bloß eine konventionelle Natur anschaulich machen wollte? Und wenn auf diesem erkünstelten Boden die Tugend immer siegt, das Laster immer bestraft wird, so frägt sichs aufs neue, ob es sich eben so im wirklichen Leben verhält, weil die Menschen, die man auf der Bühne auftreten läßt, von den Menschen auf der großen Weltbühne so ganz verschieden sind?
Der französische Wallenstein würde auf unserm Theater eine sehenswürdige Erscheinung seyn; und eine noch merkwürdigere, wenn sich der Bearbeiter nicht so gar sehr an die französische Regelmäßigkeit gebunden hätte; um aber über eine solche Neuerung unpartheiisch und rein urtheilen zu können, müßte man freilich mit einer Geistesjugend in das Feld der Künste treten, der es um neue Genüsse zu thun wäre. Sich an die classischen Meisterstücke halten, ist eine heilsame Vorschrift für den Geschmack, nur nicht für das Talent; die es aufzureizen, bedarf es unerwarteter Eindrücke; Geisteswerke, die wir von Jugend auf auswendig lernten, werden zur Gewohnheit, und erschüttern unsre Einbildungskraft nicht mehr gewaltsam.
Unter allen deutschen Trauerspielen ist, meinem Urtheil nach, Maria Stuart das rührendste und planmäßigste. Das Schicksal dieser Königin, deren Leben so glänzend und herrlich aufblühte, die ihr Glück durch eigene Schuld verlor, und nach neunzehnjährigem Gefängniß das Blutgerüst betrat, erregt eben so viel Entsetzen und Mitleid, als das Schicksal des Oedip, des Orest und der Niobe; aber die Schönheit selbst dieser Geschichte, die dem Genie so sehr zu statten kommt, würde ein mittelmäßiges Talent erdrücken.
Das Stück beginnt in Fotheringaycastle, wo Maria Stuart verhaftet ist. Neunzehn Jahre sind verflossen, seitdem sie ihrer Freiheit beraubt ward, und der von der Königin Elisabeth ernannte Gerichtshof ist auf dem Punkte, das Urtheil der unglücklichen Königin von Schottland zu fällen. Mariens Amme beschwert sich bei dem Commandanten des Schlosses über die harte Behandlung, worunter ihre Gebieterin seufzet. Dieser, seiner Monarchin mit Treue ergeben, spricht von Maria mit unbiegsamer Strenge. Man findet in ihm einen Biedermann, der aber über Maria urtheilt, wie ihre übrigen Feinde; er spricht von ihrem bevorstehenden Tode, als von einer verdienten Strafe, weil er sie im Verdacht hält, Mordanschläge auf Elisabeths Leben gemacht zu haben.
Schon bei Gelegenheit von Wallensteins Tode, habe ich von dem großen Vorzuge der Einleitungsscenen gesprochen, die sich durch Handlung entwickeln. Man hat alles Mögliche versucht, Vorspiele, Chöre, Vertraute, kurz Alles, um einen Eingang zum Stücke zu finden, der nicht zurückstoßend sey; gleichwohl dünkt michs das beste, gleich in die Handlung überzutreten, und die Hauptperson durch die Wirkung bekannt zu machen, die sie auf ihre Umgebungen hervorbringt. Auf diese Weise stellt man den Zuschauer in den wahren Gesichtspunkt, von welchem er den ganzen Vorgang überschauen soll; denn nur ein einziges Wort in einem Schauspiele, dem man es anhört, daß es dem Publikum galt, für das Publikum gesprochen wurde,
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