Ueber Deutschland
stört und zerstört alle Täuschung. Wenn Maria Stuart auftritt, ist man schon gespannt und gerührt; man kennt sie nicht nach einem todten Gemälde, sondern durch den Einfluß, den sie bei Freunden und Feinden hat. Es ist keine kalte Erzählung, der man zuhört; es ist die Begebenheit selbst, deren Zeitgenosse man geworden ist.
Der Character der Maria ist auf eine bewundernswürdige Weise gehalten, und bewirkt ein immer steigendes Interesse. Man liebt und tadelt zugleich in ihr das schwache, leidenschaftliche, über ihre Schönheit stolze, über ihre Handlung reuevolle Weib. Man fühlt Mitleiden mit ihrer Reue, wie mit ihren Fehlern. Ueberall scheint die Herrschaft durch, die ihre so allgemein gerühmte Schönheit unwiderstehlich ausübte. Ein Jüngling, der sie retten will, gesteht ihr, darf ihr gestehen, er opfere sich für sie auf, weil ihre Reize ihn entzückt haben. Elisabeth ist mehr noch ihre Nebenbuhlerin als ihre Feindin; Leicester, Elisabeths Günstling, ist Mariens heimlicher Anbeter geworden, und hat ihr seinen Beistand verheißen. Liebe und Eifersucht, die natürlichen Folgen des magischen Blickes der unglücklichen Maria, machen ihren Tod tausendmal rührender.
Sie liebt Leicester. Die Unglückliche ist verdammt, noch einmal im Leben zu fühlen, was schon so oft Bitterkeit über ihr Leben ausgoß. Ihre beinah übernatürliche Schönheit scheint zugleich die Ursache und die Entschuldigung des bei ihr zur Gewohnheit gewordenen Herzenstaumels zu seyn, der das Unglück und das Verhängnis ihres Lebens war.
Elisabeth zieht ebenfalls viel Aufmerksamkeit auf sich. Nur ist diese Aufmerksamkeit eben so verschieden, als ihr Character. Dieser Character, ein weiblicher Tyrann auf der Bühne, ist eine ganz neue Erscheinung. In Elisabeth führt alles zum Despotismus, was bei andern Frauen seinen Ursprung in der Sklaverei und der Abhängigkeit nimmt, wie z. B. der weibliche Kleinigkeitsgeist, die weibliche Eitelkeit, die weibliche Gefallsucht; in Elisabeth wird die Verstellungsgabe, das gewöhnliche Kind der Schwäche, zu einem der Hauptwerkzeuge ihrer unumschränkten Gewalt. Um die Männer zu unterjochen, muß man sie betrügen; eine höfliche Lüge ist das wenigste, was man ihnen auf diesen Fall schuldig ist. Was aber Elisabeth characterisirt, ist die Sucht zu gefallen, verbunden mit dem ganzen Willen des Despoten, und die feinste weibliche Eigenliebe, in den gewaltsamsten Handlungen der Oberherrschaft sich äußernd. Selbst die Höflinge verbergen, wo eine Königin den Zepter führt, ihre Kriecherei vor dem Throne, hinter den Schleier des Hofmachens; sie möchten sich gern bereden, daß sie es wagen, sie zu lieben, um in ihren Gehorsam mehr Edelsinn legen, und der knechtischen Furcht des Unterthanen die Farbe eines ritterlichen Dienstes seiner Dame anlegen zu können.
Elisabeth war ein Weib von seltenem Genie: dies bezeugt der Glanz ihrer Regierung; gleichwohl kann man in einem Trauerspiel, wo Maria stirbt, nichts anders in ihr sehen, als die Nebenbuhlerin, die ihre Gefangene ermorden läßt; ihr Verbrechen ist zu schwarz, um nicht alles Gute auszulöschen, was sich über ihr politisches Genie sagen ließe. Es wäre vielleicht ein Verdienst mehr in Schillers Werk gewesen, wenn er Elisabeth weniger hassenswürdig gemacht hätte, ohne Marien etwas in ihrem Interesse zu nehmen; in leichtschattierten Contrasten liegt oft mehr Kunst als in ausgesprochenen Extremen; die Hauptperson gewinnt dabei, daß keine der Nebenfiguren des dramatischen Gemäldes ihr aufgeopfert werde.
Leicester hat Elisabeth zu einer Zusammenkunft mit Maria beredet, er hat ihr den Vorschlag gethan, auf einer Jagd im Park des Schlosses von Fotheringay zu verweilen, wo Maria zu eben der Zeit Erlaubniß erhalten hatte, zu lustwandeln. Elisabeth ist's zufrieden; und der dritte Act hebt mit der rührenden Freude der Maria über den Genuß an, nach neunzehnjähriger Gefangenschaft freie Luft athmen zu können: alle Gefahren, die ihr bevorstehn, sind vor ihr entschwunden; vergebens erinnert ihre Amme sie daran, um die Ausbrüche ihrer Leidenschaft zu mäßigen. Maria hat im Angesicht der Sonne, im Schooße der Natur alles vergessen. Sie hat beim Anblick der Blumen, der Bäume, der Vögel, der ihr so neu ist, das Glück ihrer Kindheit wiedergefunden; der namenlose Eindruck alltäglicher Gegenstände, die durch eine lange Entbehrung zu Wundern einer andern Welt geworden sind, malt sich in dem berauschenden Entzücken der unglücklichen Dulderin.
Die
Weitere Kostenlose Bücher