Ueber Deutschland
Grabmahl und Ein Gebet erschöpft die ganze Macht der Rührung, und je einfacher der Glaube ist, desto mehr innere Bewegung verursacht der Gottesdienst.
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Viertes Capitel. Vom Katholizismus.
In Deutschland ist die katholische Religion viel duldsamer, als in jedem anderen Lande. Nachdem der westphälische Frieden die Rechte der verschiedenen Religionen festgestellt hat, fürchten sie nicht länger ihre wechselseitigen Eingriffe, und außerdem hat die Vermischung der Gottesverehrungen in sehr vielen Städten die Gelegenheit herbeigeführt, sich zu sehen und sich zu beurtheilen. Bei religiösen, wie bei politischen Meinungen macht man sich aus seinen Gegnern ein Fantom, welches in der Regel durch ihre Gegenwart verschwindet. Die Sympathie zeigt uns in dem, den wir für unseren Gegner hielten, unseren Nächsten.
Da der Protestantismus der Aufklärung weit günstiger ist, als der Katholizismus, so haben sich die Katholiken in Deutschland in eine Art von Vertheidigungsstand geworfen, welcher den Fortschritten der Ideen nicht wenig schadet. In Ländern, wo die katholische Religion vorherrschend war, wie in Frankreich und Italien, hat man sie mit der Literatur und den schönen Künsten zu vereinbaren gewußt; aber in Deutschland, wo die Protestanten durch ihre Universitäten und durch ihre natürliche Tendenz sich alles dessen bemächtigt haben, was mit den literarischen und philosophischen Studien in Verbindung steht, haben die Katholiken sich für genöthigt erachtet, ihnen eine Art von Zurückhaltung entgegenzustellen, welche beinahe jedes Mittel, sich auf der Bahn der Einbildungskraft und des Gedankens auszuzeichnen, unwirksam macht. Von allen schönen Künsten ist die Musik die einzige, welche im südlichen Deutschland auf einen höheren Grad von Vollkommenheit gebracht ist, als im Norden; es sey denn, daß man eine gewisse bequeme Lebensweise, deren Genüsse sich mit der Ruhe des Geistes sehr wohl vertragen, zu den schönen Künsten rechnen will.
Unter den Katholiken in Deutschland findet man eine aufrichtige, ruhige und mitleidsvolle Frömmigkeit; aber was man nicht findet, sind berühmte Kanzelredner und nahmhafte religiöse Schriftsteller. Nichts belebt die Bewegung des Gemüths. Man nimmt die Religion als etwas Gemachtes, woran der Enthusiasmus keinen Theil hat; ja, man möchte sagen, daß in dieser so sehr befestigten Gottesverehrung das andere Leben eine so positive Wahrheit sey, daß der Gedanke sich nicht mehr an ihr reibt.
Die Revolution, welche in den philosophischen Geistern Deutschlands seit ungefähr dreißig Jahren zu Stande gebracht ist, hat sie alle zu religiösen Gefühlen zurückgeführt. Sie hatten sich alle ein wenig entfernt, als der nothwendige Antrieb zur Fortpflanzung der Duldsamkeit über sein Ziel hinausgegangen war; aber indem man den Idealismus für die Metaphysik, die Begeisterung für die Poesie, die Anschauung für die Wissenschaften zurückrief, hat man die Herrschaft der Religion erneuert; und die Reform der Reformation, oder vielmehr die philosophische Richtung zur Freiheit, die sie gegeben hat — diese hat einmal für allemal, wenigstens in der Theorie, den Materialismus und alle seine verderbliche Anwendungen verbannt. Mitten in dieser intellectuellen Revolution, die an edlen Ergebnissen so fruchtbar gewesen ist, sind einige Männer, wie es bei Schwankungen des Gedankens immer zu geschehen pflegt, zu weit gegangen.
Man möchte sagen, der menschliche Geist stürze sich immer von dem Einen Aeußersten in das andere, gerade als ob die Meinungen, die er so eben ausgegeben hat, sich in Gewissensbisse verwandelten, um ihn zu verfolgen. Die Reformation, sagen einige Schriftsteller der neuen Schule, ist die Ursache mehrerer Religionskriege geworden; sie hat das nördliche Deutschland von dem südlichen geschieden, sie hat den Deutschen die verderbliche Gewohnheit eingeimpft, sich unter einander zu bekämpfen, und diese Zwistigkeiten haben ihnen das Recht genommen, sich Eine Nation zu nennen. Endlich hat auch die Reformation, indem sie den Geist der Forschung in Gang brachte, die Einbildungskraft ausgetrocknet und den Zweifel an die Stelle des Glaubens gebracht. Man muß also, wiederholen diese Männer, zur Einheit der Kirche zurückgehen, indem man sich wieder zum Katholizismus wendet. —
Zunächst, wenn Karl der Fünfte den Lutheranismus angenommen hätte, so würde es eben wohl Einheit in Deutschland gegeben haben, und das ganze Land würde, wie der
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