Uferwald
Wintergerst vernehmen lassen.«
»In Paris?«
»Ja, in Paris.«
Kuttler schüttelte den Kopf. »Ihr werdet sie nicht vernehmen.«
»Kuttler, was ist los?« Aus schmalen Augen fixierte die Kommissarin Tamar Wegenast ihren Kollegen. Sie hatte ihn noch nie so elend gesehen.
Kuttler beschrieb mit der Hand einen Kreis um seinen Hals, dann hob er sie, als hielte er ein Seil damit.
W eiße Raufaser. Schwarzweißbilder vom Kassenraum 1910. Kassierer mit Kaiser-Wilhelm-Bart. Kunden im Gehrock und mit Embonpoints, von Westen pfleglich umhüllt.
»Ich verstehe das nicht«, sagte Revisor I.
Stahlrohrsessel, mit schwarzem Leder bezogen.
»Das zu verstehen, ist wirklich nicht leicht«, ergänzte Revisor II.
Ein ausladender runder Tisch. Mooreiche, massiv.
»Ich sagte ihr«, wiederholte Czybilla, »dass ich die Zweihunderttausend so nicht annehmen darf, und erklärte ihr das Gesetz gegen Geldwäsche. Dass sie sich mir gegenüber ausweisen muss.«
»Und dann?« Revisor I trug einen dunklen Anzug und eine gestreifte Krawatte zu einem grüngelb karierten Hemd.
»Was haben Sie ihr dann gesagt?« Revisor II trug einen Nadelstreifenanzug und eine gepunktete Krawatte zu einem lila Hemd.
»Sie hat gesagt, dass sie das Geld im Auftrag einer Erbengemeinschaft anlegen will. Dass sie erst klären muss, wer gegenüber dem Fiskus als Berechtigter angegeben werden soll. Sie wollte nicht, dass es ihr zugerechnet wird, verstehen Sie? Ihr gehören wohl ein paar Mietshäuser, und sie denkt deshalb, dass der Fiskus denkt, das Geld sei daraus abgezweigt.«
»Warum haben Sie ihr nicht gesagt«, sagte Revisor I, »dass das Konto für die Erbengemeinschaft angelegt werden kann?«
»Ich habe es ihr gesagt. Aber sie sagte, dazu sei sie nicht befugt. Sie müsse erst mit den anderen Erben darüber reden.«
»Und dann«, fragte Revisor II, »haben Sie ihr das Geld doch sicher wieder mitgeben wollen?«
»Es war ihr zu gefährlich«, antwortete Czybilla. »Zweihunderttausend könne sie nicht länger so mit sich herumtragen, sagte sie. Und dass Banken doch dazu da seien, dass man dort sein Geld loswird.«
Revisor I und Revisor II sahen sich an.
Das habt ihr noch nie gehört? Komisch, dachte Czybilla. »Also habe ich ihr gesagt, dass ich es in meinen Tresor tue, und ihr eine Quittung gegeben.«
»Und was«, fragten die Revisoren I und II unisono, »haben Sie dann getan?«
»Dann hatte ich den Schlüssel zu meinem Tresor nicht zur Hand, weil der noch in meinem Aktenkoffer war, und ich dachte, ich hätte ihn in einem anderen Jackett, und draußen wartete dieser Kriminalbeamte Kuttler auf mich, und ich habe die Aktenmappe mit den zweihunderttausend Euro hinter meinen Schreibtisch gestellt und den Kriminalbeamten hereingebeten, das heißt, ich wollte es tun, weil die zweihunderttausend Euro ja nicht wegkommen, solange ein Polizist dabei ist, aber da passierte auch schon dieser Überfall, und die ganze Zeit, als ich auf dem Boden lag und der Kerl mit der Maschinenpistole auf mich gezielt hat, da hab ich gedacht, die werden doch die kleine Aktenmappe nicht finden, aber als die Russen weg waren, war auch die Aktenmappe weg.«
»Also...«, sagte Revisor I.
»Wie heißt denn die Kundin?«, wollte Revisor II wissen. Czybilla richtete sich auf. Dann schüttelte er den Kopf. »Tut
mir Leid«, sagte er ruhig. »Das darf ich Ihnen nicht sagen.« »Und warum nicht?«
»Ich habe ihr mein Ehrenwort gegeben.«
Tamar Wegenast setzte Kuttler in der Neustadt ab, vor dem Haus mit dem Eisenbahnladen, und Kuttler wartete, bis sie mit ihrem Wagen zurückgestoßen war und gewendet hatte und die Rücklichter in der Nacht verschwunden waren. Es war kalt geworden, und er hoffte nur, dass er den Thermostat für die Gasheizung nicht zu weit heruntergedreht hatte. Und dass vielleicht noch eine Flasche Bier im Kühlschrank war. Wenigstens eine.
Er stieg die Holztreppe hoch, die ausgetreten war und knarrte. Trautes Heim, dachte er, als er aufgeschlossen hatte und die Glühbirne an der Decke den einen Korbsessel und den tragbaren Fernseher und die unausgepackten Bücherkartons beleuchtete. Er warf seine Reisetasche in die Ecke und stellte als Erstes den Thermostat hoch. Dann schaute er, fröstelnd, in der Küche nach. Im Eurocity »Johann Wolfgang v. Goethe« hatte es einen entsetzlichen Kaffee gegeben und Schokoladenkekse und sonst nur das liebreizende Lächeln einer französischen Zugbegleiterin, die ihm mit großem Bedauern etwas erklärt hatte, was er nicht
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