Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
Entwicklungen eingeflossen im Schwäbischen.
Fluchen kann man natürlich auch wunderbar auf Schwäbisch.
Und man kann die Nuancen besser herausbringen. Die Hochsprache liefert die grammatischen Bindungen – das ist vollkommen klar. Aber der Dialekt darunter hat die Würze der Anschauung, wie bestimmte Dinge überhaupt gesehen werden – nicht unbedingt das einzelne Dialektwort, sondern die Art, wie es im Dialekt metaphorisch verpackt wird. Das ist auch dialektal jeweils ein bisschen verschieden.
Sehen Sie sich denn in der Tradition der schwäbischen Poeten?
Mein Hausheiliger ist Franz Kafka – und der ist ja nun wirklich woanders her. Ich habe den wichtigen Kranz der schwäbischen Dichter und Denker schon sehr früh gelesen. Und ich liebe Mörike. Aber so ganz identifiziere ich mich nicht damit. Für einen Autor spielt doch ein Autor, der im selben Jahrhundert gelebt hat, eine bedeutendere Rolle. Und im 20. Jahrhundert ist in Baden-Württemberg außer Hermann Lenz nicht viel da.
Die Schwaben hatten ja mal eine richtige Dichterrevolution, im 18. Jahrhundert – und plötzlich war es weitgehend weg. Woran liegt das?
Das gibt es in allen Regionen. Das gibt es übrigens auch in Ländern. Denken Sie an Italien. Die hatten in den 50er-Jahren Schriftsteller zum Küssen, zum Niederknien. Und heute würde ich sagen: tote Hose.
Es sind immer wieder Wellenbewegungen?
Es gibt eine zufällige Mischung in einer Generation, die dann befruchtend wirkt und andere mitzieht. Aber irgendwann ist das halt wieder vorbei. Das ist so.
Schreiben Sie für irgendeinen bestimmten Leser oder schreiben Sie für sich?
Ich schreibe natürlich für eine Art von Leser, der ich selber bin. Ich schreibe für Leute, die viel lesen, die in der Literatur wirklich zu Hause sind, einfach, weil ich selber so gestrickt bin. Ich habe beim Schreiben aber nicht den Gedanken an den Leser. Wenn das Buch dann fertig ist, überlege ich mir schon manchmal, ob das jemand versteht, der meine Winkelzüge oder Reflexionen nicht kennt.
In »Blumenberg« erscheint dem Protagonisten ein Löwe …
Weil Blumenberg, der Philosoph, sehr viel über den Löwen geschrieben hat und den Löwen liebte. Als großer Heiligenbegleiter hat sich der Löwe bewährt. Um einem bedeutenden Philosophen einen würdigen Begleiter oder ein Heim zu geben, da ist der Löwe natürlich das Größte, was man tun kann. Nicht irgendein Geselle oder ein Adlatus, sondern der Löwe.
Da ist man doch woanders, wenn man einen Löwen neben sich hat! Und von einem Löwen in eine andere Welt entrückt zu werden …
Glauben Sie an diese andere Welt?
Ja.
Glauben Sie, dass Sie da hinkommen?
Ich hoffe es. Ja. Das ist kein ausgedachtes Paradies, sondern eher ein bisschen konventioneller.
Sie waren ja schon mal im Himmel?
Ich war schon ein bisschen im Himmel.
Mit LSD?
(Sie lacht.)
Mit LSD geht es sofort in die Gottesregion – ein bisschen LSD und schon bin ich da oben!
Sie haben bereits als 13-Jährige LSD konsumiert.
Ja. Ich habe dann aber die Finger davon gelassen. Das ist schon sehr stark.
Diese Halluzinationserlebnisse beschreiben Sie als sehr wichtig für Ihre schriftstellerische Arbeit.
Es ist für mich eine wichtige Lebenserfahrung, von der ich schriftstellerisch sehr profitiere. Wenn Sie das mehrmals in so einer Schärfe, wie ich es erlebt habe, praktiziert haben, welche Assoziationen durch das Hirn schießen können, was Sie fühlen, was Sie sehen, was Sie riechen, was für Assoziationsgewitter Sie durchherrschen, das können Sie später im Schreiben fruchtbar machen.
Ein Kind der Hippiezeit.
Ja, das war diese Zeit. Die Gefährlichkeit dieser Sache ist mir vollkommen klar. Hätte ich ein eigenes Kind gehabt, mir hätten sich die Haare gesträubt, wenn es mit zwölf oder 13 Jahren an LSD geraten wäre!
Hat Ihre Mutter das erfahren?
Meine Mutter hat nur gearbeitet, die hat das nicht mitbekommen. Die Gefährlichkeit ist mir klar, und dennoch war es für mich eine Erfahrung, von der ich bis heute zehre – ohne dass ich sie wiederholen wollte. Es reicht, wie es damals war.
Die Intellektuellen, gerade die Schriftsteller, spielen im öffentlichen Diskurs heute nicht mehr die Rolle, die sie zu anderen Zeiten hatten. Kaum macht Herr Grass den Mund auf, gibt es kleinere Erdbeben. Ansonsten ist es relativ still.
Das Gegenteil ist der Fall: Ich finde, die Schriftsteller plappern zu viel über Dinge, von denen sie nichts wissen. Ich könnte jeden Tag einen Artikel schreiben über
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