Und das Glück ist anderswo
gehört zu haben. Oder er sprach, was Liesel in einer blitzartigen Erinnerung an den Vorarbeiter auf der Farm in Londiani vermutete, überhaupt nicht mit Frauen, mit denen er nicht die Liegestatt teilte. Rose’ Kinderfrage erstarb im Wind. Sie biss sich auf die Unterlippe, als wollte sie die vier Worte zurück ins Schweigen holen. Als aber der Wagen angelassen wurde, gab der frohgemute Eigner einer Währung, die in es in Kenia zu der größten Verehrung gebracht hatte, seinem großen Sohn einen energischen Schubs in Richtung Haus. Seine Absicht machte er noch deutlicher, indem er dem Kind etwas nachrief, das es zu einem Hühner verschreckenden Tempo beflügelte. Der Vater nickte Zustimmung. Dann umkreiste er den Wagen. Er hielt auf Rose’ Seite an und gab ihr ein Zeichen. »Hunde«, sagte er und stemmte seine Hände in die Hüften, »haben keine Namen.«
»Sorry«, wisperte Rose.
»Nein«, grinste der Mann, »er heißt nicht Sorry. Er heißt gar nicht. Er ist ein Hund. Nur ein Hund. Wir reden nicht mit Hunden.«
Er stieß einen Laut hervor, der wie das Bellen eines aufgeregten Hundes klang, klimperte mit den Münzen in seiner Tasche, pfiff zwei schrille Töne, auf die eine der Meerkatzen im Mangobaum ihm Antwort gab, und wandte sich ab. Für einen Moment sah es so aus, als wollte der Vater seinen Sohn noch einholen, der fast schon das Haus erreicht hatte, denn er warf den Besen auf die Erde und machte ein paar lange, entschlossene Schritte, doch er lief nur bis zu einem wuchernden Gebüsch mit Dornen, Blumen und violett leuchtenden Beeren, die die Vögel anlockten. Dort pflückte er eine langstielige Blume mit großen roten Blütenblättern, eine stolze afrikanische Verwandte der europäischen Rose. Der Mann hielt die eindrucksvolle Schönheit vor seine Brust, eilte zurück zum Auto und überreichte Rose die Blume.
»Von Sorry«, sagte er. Sein Gelächter klang wie Donnergrollen. Das englische R machte ihm Schwierigkeiten, und er musste es mit einigem Räuspern aus der Kehle rollen, doch als er zum zweiten Mal bellte, dieses Mal tief und freundlich, klang der Rosenkavalier durchaus wie der Hund ohne Namen.
Rose steckte die Blume ins Haar. Als es ihr gelang, ihr Gesicht im Rückspiegel des Wagens auszumachen, verliebte sie sich endgültig in das Mädchen mit den strahlenden Augen und der knospenden Brust. Ihre Mutter seufzte tief; für ihr Missbehagen machte sie das ungewöhnliche Frühstück verantwortlich. In den ersten Jahren ihrer Ehe hatte Liesel immer davon geträumt, einmal im Monat und an ihrem Geburtstag mit ihrem Mann in die Oper zu gehen, sobald die Kinder alt genug wären, um abends allein zu Hause zu bleiben. Emil hatte aber ausgerechnet nach dem Eklat wegen June Andeutungen gemacht, dass er sich in klassischen Konzerten nicht wohl fühlte und in der Oper tödlich langweilte und im Übrigen schon immer für Swing geschwärmt hätte.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte er. Die Berge in der Ferne waren sanft und blau.
»Natürlich. Warum fragst du denn?«
»Nur so«, murmelte Emil.
»Findest du nicht, dass deine Tochter wie Carmen aussieht?«
»Carmen wer? Du kannst doch nicht die Tochter vom spanischen Gemüsehändler meinen. Die schielt und spuckt. Aber nur beim Sprechen.«
»Und hinkt«, kicherte Rose.
Ihr Vater, der als Junge für Captain Cook geschwärmt und sich entschlossen hatte, jede Reise seines Idols zu wiederholen, sobald es seine finanziellen Möglichkeiten zuließen, drehte sich beim Fahren um. Rose, sagte er, sehe aus wie ein Hawaiimädchen. Obgleich er selten betete und nie mitten am Tag und schon gar nicht am Steuer oder in Momenten der vollkommenen Zufriedenheit, bat er Gott, er möge sich viel Zeit lassen, ehe er Emil Procter aus Hampstead mit einem Schwiegersohn bedachte.
Aus der Frische des Morgens wurde Tageshitze. Die Schatten waren hell, das Licht blendete. Eine Herde Zebras schnitt ein schwarz-weißes Muster in die Landschaft. Die Unterhaltung beschränkte sich auf kleine Scherze und gut gelaunte Neckereien. Ein jeder der vier mutmaßte, er allein wäre verzaubert von der Welt und den Gedanken, die zu den Wolken flogen, ehe sie dazu kamen, das Gemüt zu attackieren.
Selbst Liesel erwischte sich bei dem Wunsch, die Reise würde noch lange währen. Sie spürte ausschließlich Zustimmung für das Leben, und sie schaute animiert in eine Flut von Bildern, die das Auge verwöhnten, ohne die Seele zu belasten. Als sie sich an das Quartier der Nacht erinnerte und an den
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