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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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nur zum Zahnarzt, um für mich die Kochrezepte aus den Zeitungen im Wartezimmer herauszureißen.«
    Martha maß den Grad des Schmerzes von Tochter und Schwiegersohn an den vollen Schüsseln, die sie am Sabbat vom Tisch zurück in die Küche trug. Nach drei quälenden Freitagabenden und unmittelbar vor dem vierten, der ins Haus stand, schlug sie vor, den Sabbat eine Weile bei Samy zu feiern. Das erste Mal begründete sie dies mit seinem körperlich immer noch labilen Zustand nach der Bronchitis, aber Samy überführte sie, was er noch nie getan hatte, prompt der Lüge. Er war so guter Laune, so heiter und ausgeglichen und so sehr bemüht, seine Gäste in die gleiche gute Stimmung zu versetzen, dass Martha - schon aus Furcht, das Schicksal könnte sich rächen und ihre Notlüge Wirklichkeit werden lassen - sich nicht getraute, weiterhin eine ausgeheilte Bronchitis zu bemühen. Ihre menschenfreundlichen Schwindeleien, um die Schmerzen verwunderter Seelen zu lindern, waren im Übrigen gar nicht nötig gewesen.
    »Ich find’s prima«, befand Emil beim ersten Mal, »dass wir nun immer am Freitagabend bei Samy sind. Hier müssen wir nicht so tun, als wären unsere Kinder nur für einige Zeit verreist.«
    »Das sind sie aber«, widersprach Samy. »Heutzutage sind ja auch Reisen nicht mehr, was sie waren. Manche finden ausschließlich im Kopf statt. Meinetwegen auch im Herzen. Wenn du mich fragst, es sind die schlechtesten nicht.« »Ich nehme an, du sprichst von David. Wenn ein Achtzehnjähriger sein Studium hinschmeißt, ehe er damit begonnen hat, und eine Siebzehnjährige heiratet, die aussieht, als wäre sie vierzehneinhalb und der man am liebsten eine Puppe in die Hand drücken würde, kann man sich schlecht damit trösten, dass die Jugend eben ein anderes Verhältnis zur Zukunft entwickelt hat als ihre verkalkten Eltern. In letzter Zeit habe ich mich verdammt oft gefragt, ob die jungen Leute das Wort Zukunft überhaupt noch buchstabieren können.«
    »Genau das hat David getan«, überlegte Samy. »Er hat an seine Zukunft gedacht. Es ist unser Pech, dass uns das Endergebnis so wenig zusagt. Doch das passiert fast allen Eltern. Und wenn nicht, sind ihre Kinder entweder phlegmatisch oder ein bisschen blöd, oder sie haben sie zu Duckmäusern erzogen. Da haben wir doch alle ausgesprochenes Glück. Keines unserer Kinder ist ein mieser kleiner Duckmäuser geworden, der nach fremder Leute Pfeife tanzt und das noch gut findet.«
    »Wenn ich deinen Humor und Rothschild sein Geld hätte, wäre ich ein rundum glücklicher Mensch, Samy.« »Rothschild sein Geld brauchst du gar nicht, um glücklich zu werden«, korrigierte Martha. Sie sah Emil streng an und klopfte Samy lächelnd auf den Rücken.
    »Wahrscheinlich hast du Recht. Ein Brief von meiner einzigen Tochter, in der sie sich nicht auf die Meteorologie von Nizza beschränkt, würde mir auch schon reichen. Wenigstens zur Zufriedenheit.«
    Davids Schwiegervater war nicht nur zufrieden. Er versäumte keine Gelegenheit, dem Allmächtigen zu danken, dass er durch die Heirat seiner ältesten Tochter zu seinen drei eigenen Söhnen einen Sohn hinzugewonnen hatte und dass er nun mit einer besonderen Gunst des Himmels bedacht worden war, denn dieser Sohn war ein blitzgescheiter, lernbegieriger, frommer junger Mann. David war, das erfuhren alle Leute und vor allem jene, die getuschelt hatten, weil ein Vater seine Tochter als Siebzehnjährige verheiratete, das Idealbild eines Sohnes. In der orthodoxen Schule, in der er sich nun so geschickt und mit so viel Freude um die jüngsten Schüler kümmerte, als hätte er schon seit Jahren nur gelernt und gelehrt und dem Allmächtigen gedankt, dass er dies tun dürfte, machte er Rabbi Myers, der ihn empfohlen hatte, die allergrößte Ehre. Zudem war der Rabbiner überzeugt, dass der Schöpfer allen Lebens, der sein Gebet erhört hatte, bald dafür sorgen würde, dass er den Mohel zur Beschneidung seines ersten Enkelsohnes holen dürfte. Es war eine jener ironischen Pointen, die das Leben zu setzen pflegt, dass die Überlegungen von Davids leiblichem Vater in eine ähnliche Richtung gingen. Nur sah er bei dem Gedanken an sein erstes Enkelkind absolut keinen Anlass, Gott um Eile zu bitten.
    »So dumm wird unser David doch nicht sein«, tröstete Lie-sel, als ihr Mann erstmals seine Befürchtungen aussprach, »auf ein Unglück gleich ein zweites zu setzen.«
    »Soviel ich weiß«, erwiderte Emil, »gilt bei den Frommen die Geburt eines Kindes

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