und der verschwiegene Verdacht
und rief: »Lady Nell! Auftritt Mitte!«
Peter kam zuerst heraus. Seine Augen leuchteten vor Erwartung, aber auch im Bewusstsein einer wunderbaren Überraschung, die bald alle erleben würden. Er blieb neben Emma stehen, dann sah er gespannt auf die Tür und wartete.
Der Raum verdunkelte sich, ein Streichholz flammte auf, und Emma hörte das Zischen von ausströmendem Gas. Sie sah, wie Crowley ein Streichholz an den Docht der glänzenden Messinglampe hielt, die über der Anrichte an der Wand hing. Sorgfältig setzte er den Glaszylinder wieder auf, ehe er im Zimmer die Runde machte und überall kleine Gaslampen entzündete. Als er fertig war, leuchtete der Raum in einem diffusen goldenen Licht, in dem Emmas neues Kleid noch schöner glänzte.
Auf seinem Weg zurück zur Anrichte blieb Crowley bei Emma stehen. »Keine Angst, Miss Porter«, sagte er leise, »Lady Nell wünschte sich, dass wir heute Abend das Gaslicht anzünden, aber das ist eine große Ausnahme.«
»Was zum Teufel sollte es auch sonst sein?«, brummte Nanny Cole gereizt. »Denkt hier etwa jemand, dass wir die Kinderzimmer mit Gas versorgen?« Sie wollte gerade mit einer handfesten Schmährede loslegen, aber auch sie verstummte, als Nell ins Zimmer kam.
Das kleine Mädchen war in weiße Seide gekleidet. Ihr Kleid war bodenlang, mit hoher Taille und langen Puffärmeln. Breite Spitzenmanschetten an den Handgelenken fielen über die rundlichen Kinderhände. Unter dem Saum, der mit Zuchtperlen bestickt war, lugten kleine Satinschuhe hervor, und in Nells blonden Locken blitzte ein winziges Dia-dem. Ihr kleiner schokoladenbrauner Kavalier trug einen schwarzen Zylinder und ein fesches schwarzes Cape, das mit roter Seide gefüttert war. Nell strahlte im sanften Licht der Gaslampen und blickte ruhig in die Runde; sie sah aus wie eine winzige, zarte Elfenkönigin voller Würde und Charme, die sich anschickte, Hof zu halten.
Nanny Cole unterdrückte mit Mühe einen Knicks, dann brummte sie: »Ganz nett«, und verschwand. Emma, die bei Nells Eintreten aufgestanden war, musste sich ebenfalls zusammenreißen und daran denken, dass es sich hier um ein Kind handelte, als Nell ihr die Hand reichte.
»Guten Abend, Emma.« Das kleine Mädchen sah an Emma vorbei und schien einen Moment die Fassung zu verlieren. »Papa!«, rief sie. »Mais, que vous êtes beau!«
»Bitte, lass uns Englisch sprechen, wenn du nichts dagegen hast, Königin Eleanor. Aber trotzdem danke für das Kompliment.« Die gutmütige Zu-rechtweisung kam über Emmas Schulter, sie drehte sich um und sah Derek, der groß und breitschultrig hinter ihr stand, makellos im Frack, mit hochglänzenden Schuhen, gekämmtem Haar und frisch rasiert.
»Das ging schnell«, sagte Emma, die sich bemüh-te, ihn nicht zu sehr anzustarren.
»Hallard hat mir geholfen. Und ich glaube, noch jemand.« Derek sah seine Tochter misstrauisch an.
»Ich kann mich nicht erinnern, das hier eingepackt zu haben.«
Nells unschuldige blaue Augen wurden groß. »Es war in der Kammer, dort wo Mamas …«
»Warum setzen wir uns nicht?«, unterbrach Peter sie. »Komm, Nell.« Er ergriff seine Schwester ziemlich unfeierlich am Handgelenk und zog sie zum Tisch.
Derek zögerte einen Augenblick, doch dann nahm er Haltung an, machte eine kleine Verbeugung und bot Emma seinen Arm.
Nell war eine reizende Gastgeberin. Sie brachte ihren Vater dazu, von seinen Abenteuern zu erzählen. Diese reichten von einem schlecht gelaunten Mutterschaf, das ihn in Yorkshire über ein Feld ge-jagt hatte, bis zu jenem betrunkenen Hausmeister, der Derek mit einem Schwert verfolgte, nachdem er ihn dabei erwischt hatte, wie er in einem Sommer-haus in Devon die Fußbodenbretter aufhebelte.
»Erzähl Emma, was du dann gemacht hast«, bet-telte Nell.
»Ich weiß ungefähr, wie viel so ein Schwert wiegt«, erwiderte Derek mit einem bescheidenen Schulterzucken. »Aber gegen mein Brecheisen konnte er damit nicht viel ausrichten.«
Von Dereks Anekdoten führte das Gespräch, von Dereks Tochter klammheimlich angeleitet, zu einem anderen Thema. Derek hörte aufmerksam zu, als sie von ihrem neuen Kindergarten erzählte, aber er schien völlig überrascht zu sein, als sie ihm mitteilte, dass Peter nicht mehr zu den Pfadfindern ging.
Langsam fiel bei Emma der Groschen: Nell wollte ihren Vater über den neuesten Stand der Dinge in Haus und Familie in Kenntnis setzen.
»Yorkshire, Devon – Sie scheinen durch Ihre Arbeit weit herumzukommen«, bemerkte Emma, die sich
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