Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Widmer; David Och
Vom Netzwerk:
Festnetzanschlusses und der Handys von Papa und Davids Mutter. Während der Assistent draußen mit der Bambusstange nach Empfang sucht, minutenlang hin und her läuft, findet Nase ein schwaches Netz mit der Handyantenne. »Es muss ein afghanisches sein«, erklärt er uns und fragt dann: »Welche Nummer?«
    Wir deuten auf die Festnetznummer. Inzwischen ist es 11.30   Uhr in der Schweiz.
    Mein Herz klopft bis zum Hals, ich bekomme feuchte Hände, trinke einen Schluck Wasser. Es ist wie vor einem Halbmarathon, eine Mischung aus gespannter Erregung, Vorfreude und Angst. Nur hundert Mal stärker.
    Über den Lautsprecher hören wir das Läuten, Nase hält den weißen Hörer an sein Ohr und sagt: »Hallo! Hallo!«
    Ich reiße ihm fast den Apparat aus der Hand, während meines Vaters Stimme sagt: »Ja.«
    »Papa, Papa, hörst du mich?«
    Ein Schluchzen kommt aus dem Hörer. »Daniela, mein Schatz!«
    Nase drückt auf die rote Hörertaste, die Verbindung ist unterbrochen. Ich habe einen Kloß im Hals und bin ebenso hilflos wie empört. Die Stimme meines Vaters hallt in meinem Kopf nach, während Nase, der kühle Stratege, das Kabel von draußen abzieht und dabei lacht wie ein Schuljunge, der seinem Lehrer einen harmlosen Streich gespielt hat. Der Assistent sucht weiterhin vergeblich nach einem Netz. Er geht hin und her, neben uns steht ein Auto, in dem zwei Männer per Handy telefonieren. Mein Vater war klar und deutlich zu vernehmen. Wieso hat Nase die Verbindung unterbrochen?
    »Reicht das Geld auf der Karte nicht?«, frage ich.
    Nase schüttelt den Kopf: »Pressure«, antwortet er, »more pressure.«
    So ein ignoranter Mensch, denke ich, und zu David sage ich meinen Standardsatz: »Denn sie wissen nicht, was sie tun.«
    David sagt: »Lass es uns noch einmal mit der anderen Antenne probieren.«
    Ich fahre mir mit dem Handrücken über die Stirn. Durch das offene Seitenfenster streicht die kühle Winterluft herein, mir ist heiß und kalt.
    »Dein Vater wartet, mach dir keine Sorgen«, sagt Nase. Wie kann er nur immer so ruhig sein? Ich habe meinen Vater noch niemals weinen sehen. Und wie mag es erst meiner Mutter ergehen? Auf dem Display sind wieder zwei Balken für die Signalstärke zu sehen.
    Nase gibt die Nummer ein, quälend langsam drückt er eine Taste nach der anderen.
    Es klingelt, ich nehme den Hörer ans Ohr. Dreimal ertönt das Tuten im Lautsprecher. Es knackt. Mein Vater weint noch immer, und dann presst er hervor: »Daniela.«
    »Papa, bitte hör mir zu. Ich muss dir etwas erklären.«
    »Ja, ich höre dir zu.« Ich weiß, wie viel Überwindung es ihn kostet, nicht herauszuplatzen mit seinen Fragen, seiner Wut, seiner Angst und seiner Verzweiflung.
    »Papa, die pakistanische Regierung hat die Verhandlungen abgebrochen. Die Taliban verlangen fünf Millionen Dollar. Das Geld muss innerhalb einer Woche …«
    »Wie können wir in Kontakt treten? Zu wem sollen wir Kontakt aufnehmen? Wie können wir in Kontakt treten? Wie denn? Wie soll das gehen?« Er kann nicht an sich halten. Er hat schon unter Normalbedingungen Mühe, einen anderen Menschen aussprechen zu lassen.
    »Papa, hör mir zu. Du darfst keine Fragen stellen. Das Geld muss innerhalb einer Woche auf die Schweizer Botschaft in Islamabad gebracht werden, sonst bringen uns die Taliban um, Papa.«
    »Das Geld wird bezahlt«, sagt er nüchtern.
    Jetzt kann ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich kenne seine Entschlossenheit und spüre, dass er seinen ganzen Besitz aufgegeben hat, die Mühen und Kämpfe eines ganzen Lebens, in dem er sich vom einfachen Installateur hochgearbeitet hat zu einem gefragten Bauplaner und Generalunternehmer, in dem er immer wieder sein ganzes Vermögen eingesetzt hat, um ein Projekt nach dem anderen fertigzustellen. »Du musst die Schweizer Regierung anrufen, Papa. Wende dich an die Medien, ans Fernsehen, geh zu unserem Anwalt, schreib eine Presseerklärung. Nur noch eine Woche. Ich habe …«
    Nase hat wieder auf den roten Knopf gedrückt.
    »Genug«, sagt er, »wir brauchen mehr Druck.«
    »Willst du mit deiner Mutter sprechen?«, fragt er David.
    Dieser nickt.
    »Du willst ihr das zumuten?«, fragt Nazarjan, und David ist etwas erstaunt über das plötzliche Mitgefühl. Einen Moment zögert er, dann nickt er ein weiteres Mal.
    Zuerst hört man ein Freizeichen, danach ist besetzt. Wir warten ein paar Minuten, ich betrachte David. Ich weiß, wie sehr seine Mutter an ihm hängt. Vor dreizehn Jahren ist sein Vater gestorben,

Weitere Kostenlose Bücher