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Und Nietzsche lachte

Und Nietzsche lachte

Titel: Und Nietzsche lachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Quarch
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es mir sinnvoll erscheint, in der zweiten Halbzeit Ihre Aufmerksamkeit auf ein philosophisches Denken zu lenken, das zugleich das älteste und das avancierteste des europäischen Geistes ist. Ein Denken, das rechtfertigt, die Parole auszugeben: Zurück in die Zukunft! »Wie?«, fragen Sie jetzt vielleicht, »alles retro, oder was?« Kann ich verstehen, ändert aber nichts daran, dass wir tatsächlich die Uhr des Geistes ein paar Jahrtausende zurückstellen müssen, um eine Philosophie zu finden, mit der wir uns einen stimmigen Reim auf Viktor Frankls große Sinnerfahrung machen können – und ein Verständnis von Sinn zu entwickeln, das verspricht, auch Sie und mich durchs Leben zu tragen. Auch das hat einen philosophischen Grund, den ich Ihnen nicht vorenthalten will – einen Grund, auf den mit großem Nachdruck Martin Heidegger hingewiesen hat. Er sagte sinngemäß: Um denjenigen Verzerrungen und Verschattungen des Denkens zu entkommen, die verhindern, dass wir zur »Eigentlichkeit« unseres Daseins finden (ich würde sagen: zum Sinn unseres Lebens), müssen wir aufs Ganze gehen. Wir müssen uns darüber klar werden, was unser Denken prägt; wir müssen das mächtige, aber doch unbewusste Vorzeichen vor der Klammer unserer Weltsicht aufdecken; das Koordinatensystem zu Bewusstsein bringen, in dem sich die Bahnen und Bezüge unseres Denkens immer schon halten. Und um das zu tun, so argumentierte Heidegger, müssen wir in unserer Geistesgeschichte (er nannte sie »Seinsgeschichte«) so weit zurückgehen, bis wir zu ihrem Anfang kommen: zum Ursprung – zur Quelle, aus der der Strom unseres Geistes entsprungen ist. Sie müssen wir ergründen, um die Macht der Geschichte über uns zu brechen.
    Und dann können wir noch weiter zurückgehen in eine Zeit, in der die Sicht auf die Dinge und das Leben noch nicht philosophisch verdorben, sondern wirklich ursprünglich war. Diese Zeit war in Heideggers Augen die Zeit vor der begrifflichen Philosophie: die Zeit des frühsten griechischen Denkens, dessen Abendröte in den Schriften und Fragmenten der sogenannten Vorsokratiker gerade noch zu gewahren ist.
    Wenn wir uns nun also den alten Griechen zuwenden, dann geschieht das nicht aus Nostalgie und humanistischer Liebhaberei, sondern aus der Überzeugung, dass wir zur Wiederentdeckung der Sinnhaftigkeit des Lebens wohl oder übel den Umweg nehmen müssen über eine Epoche, in der die Menschheit noch nicht in dem Maße die Strukturen und Muster des Denkens entwickelt hatte, die zu den fragwürdigen Sinnkonzepten führten, die vielen Menschen der Gegenwart das Gefühl vollkommener Sinnlosigkeit geben. Wir müssen zurück bis vor den Anfang dieser Strukturen und Muster des Denkens, um von dort die Inspirationen zu erhalten, die wir brauchen, weil sie neue Wege zur Sinnfindung weisen. Wobei ich von Heidegger allerdings in dem einen Punkt abweiche, dass ich davon überzeugt bin, in den Texten der alten Philosophen mehr geboten zu bekommen als nur eine fade Abendröte der schwindenden Ursprünglichkeit des Denkens. Denn ich glaube, gute Gründe dafür zu haben, in den Philosophien – vor allem – Platons und Heraklits eine Ursprünglichkeit der Wahrnehmung zu finden, die uns heute und morgen den Zugang zur Sinnressource unseres Lebens neu erschließen kann. Aber das kann ich Ihnen nur verständlich machen, wenn Sie mich auf einen kurzen Abstecher in eine andere Welt begleiten: die Welt des Mythos.
    Apollon – Der göttliche Erleuchter
    Die alten Griechen tickten anders. Wie viele andere traditionelle Kulturen auch fühlten sie sich heimisch in dieser Welt. Nietzsches »Hinterwelten« waren ihnen fremd, wenngleich sie innerhalb dieser Welt so etwas wie Vordergründe und Hintergründe zu unterscheiden wussten. Aber bei alledem waren sie doch überzeugt davon, dass die Welt ein zusammenhängendes Ganzes ist – und zwar ein in sich stimmiges, schönes, lebendiges Ganzes, für das sie das Wort kósmos schufen: schöne Ordnung. »Das Göttliche, in dem hier der Mensch sich geborgen weiß, ist nicht das ›Ganz andere‹, zu dem diejenigen ihre Zuflucht nehmen, für die die Weltwirklichkeit entgöttlicht ist. Es ist vielmehr eben das, was uns umgibt, in dem wir leben und atmen, das uns ergreift und in der Helligkeit unserer Sinne und unseres Geistes Gestalt wird«, erläutert der Religionsphilosoph Walter F. Otto in seinem Buch Theophania das Lebensgefühl des alten Hellas – und trifft damit präzise den Unterschied zwischen dem

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