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Und Nietzsche lachte

Und Nietzsche lachte

Titel: Und Nietzsche lachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Quarch
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Sie nicht selbst er funden, sondern Sie haben ihn ge funden. Platon würde sagen: Sie haben sich an ihn erinnert; im Laufe der Zeit, mithilfe vieler vergänglicher Espressotassen. Nun sagen Sie vielleicht: Okay, für mich trifft das zu, nicht aber für denjenigen, der irgendwann die Espressotasse erfunden hat. Denn in der Steinzeit gab’s noch keine, und vom Himmel wird sie auch nicht gefallen sein. Irgendwer muss sie zuerst gemacht haben. Es muss also einen Erfinder der Espressotasse geben, einen, der diesen Sinn gemacht hat – der ihn nicht ge-, sondern erfunden hat.
    Gut, das kann man so beschreiben, aber das ändert nichts an folgendem merkwürdigen Sachverhalt: Wenn Sie hingehen und alle Espressotassen der Welt zertöppern, so dass keine einzige mehr übrig bleibt, haben Sie doch nicht den Sinn der Espressotasse aus der Welt geschafft. Denn es ist sehr wohl möglich, dass am nächsten Tag ein findiger Schwabe kommt und eine Espressotasse macht. Da frage ich nun: Hat der den Sinn der Espressotasse er funden oder ge funden? Doch wohl ge funden bzw. wiederge funden. Und ich frage weiter: Was hindert uns zu glauben, dass das auch schon bei dem Kerl der Fall war, von dem wir bisher glaubten, er sei ihr Erfinder gewesen?
    »Was soll das?«, fragen Sie jetzt vielleicht zurück. – Nun, es soll zeigen, dass Sinn eine Realität von anderer Art ist als das Sinnvolle, an dem er sich zeigt: dass Sinn mit den Kategorien von Raum und Zeit nicht zu fassen ist; weil er sich zwar in Raum und Zeit manifestiert, aber nicht mit der Frage nach dem »wo« oder »wann« dingfest gemacht werden kann. Sinn ist und ist und ist – und wenn wir ihn nicht sehen oder finden, dann liegt das nicht an ihm, sondern an uns. Hat man sich das einmal klargemacht, ist es vielleicht gar nicht mehr so abwegig, dass Platon einst meinte, das Verstehen von Sinn könne am besten beschrieben werden als Wieder-Erinnern – auf keinen Fall aber als ein Machen oder Herstellen.
    Diese sonderbare Zeit- und Raumlosigkeit des Sinns scheint mir für unser Thema von größter Relevanz zu sein. Denn wir suchen ja einen Sinn, der uns durchs Leben trägt, auf den wir uns verlassen können, und der nicht hin ist, wenn irgendetwas in unserem Leben zertöppert wird wie eine Espressotasse – einen Sinn, den zu erfahren uns das große, Franklsche »Ja!« zum Leben sagen lässt.
    Die gute Nachricht, die ich Ihnen am Ende dieses Abschnitts zurufen möchte, lautet: Es gibt so etwas wie einen bleibenden und tragenden Sinn in Ihrem Leben; einen, den Sie erfahren und genießen können, wenn Ihr Leben – wie eine schöne Musik – in sich stimmig, harmonisch, wohltemperiert ist; wenn Sie mit sich und der Welt im Einklang sind. Was selbst dann der Fall sein kann, wenn Ihnen Ihr Tun und Lassen bedeutungs- und zwecklos erscheint, wenn es nicht nach Maßgabe Ihrer Wertsetzungen moralisch integer ist, wenn es nicht von Ihnen gemäß Ihrer Selbstinterpretation gestaltet ist.
    Wie die Erfahrung dieses Sinns für Sie in Ihrer konkreten Lebenswirklichkeit aussehen wird, kann ich Ihnen natürlich nicht sagen. Das kann Ihnen niemand sagen, weil Sie es nur im Umgang mit sich selbst herausfinden können. Nur so viel scheint mir mit den Mitteln der Philosophie gesagt werden zu können: So oder so wird es ein Ereignis sein, bei dem Sie sagen »ES STIMMT«. Ihr Leben wird in dem Augenblick, in dem Sie das sagen, eine Tiefe und Weite bekommen, die es Ihnen erlaubt, es gutzuheißen und (trotzdem) »Ja!« zum Leben zu sagen, weil Sie herausgefunden haben, dass es eine innere, ihm eigene Sinnhaftigkeit besitzt, die nichts und niemand Ihnen nehmen kann. Und diese Harmonie ist, wenn sie sich ereignet, immer absolut. So gesehen wird nun verständlich, was Viktor Frankl über die echte, tiefe und tragende Sinnerfahrung sagte: »Bei der Sinnwahrnehmung handelt es sich um die Entdeckung einer Möglichkeit vor dem Hintergrund der Wirklichkeit. Und diese Möglichkeit ist jeweils einmalig. Sie ist vergänglich. Aber auch nur sie [= die Möglichkeit, die Chance] ist vergänglich. Ist eine Sinnmöglichkeit einmal verwirklicht, ist der Sinn einmal erfüllt, so ist er es nämlich ein für allemal.« Die Möglichkeit, an jenem Wintermorgen im Aufleuchten eines Lichtes in einem fernen Gehöft ein Sinnangebot zu gewahren, war vergänglich. Aber da Frankl sie annahm, wurde sie so einleuchtend, so unbestreitbar und zeitlos, dass sie ihn zu tragen vermochte. Das Ereignis ist vergangen und hat sich verflüchtigt,

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