...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst
für Tanjas Mitteilungsbedürfnis. Es entsprang ihrem Frust über das Gespräch mit Finch, seiner mangelnden Kooperationsbereitschaft.
»Von wegen: na, siehst du. Die Auslastung des Hotels liegt bei nur siebzig Prozent, die durchschnittliche Anzahl Übernachtungstage beträgt trotz Vier-Sterne-Restaurant nur 1,3. Das bedeutet im Vergleich zur Konkurrenz gerade noch so mittleres Level. Die Leute wollen heutzutage eben nicht nur im Hotel essen und trinken, sondern erwarten auch andere Freizeitangebote. Sauna zum Beispiel, einen Squashraum und so weiter. Möglichkeiten zum Umbau wären gegeben.«
»Das dürfte nicht ganz billig sein.«
»Leerstand ist auf Dauer teurer. Solchen altmodischen Führungsstil kann sich heute keiner mehr leisten, der in der Branche bestehen will.«
»Willst du das deinem Vater sagen? London ist eins seiner Lieblingskinder.«
»So? Nun ja, das ist Pech.«
»Du . . .« Michaela zögerte. Sollte sie Tanja wirklich fragen, ob sie . . . »Du bist nicht gerade dabei, deinen Frust auf mich und deinen Vater an anderen abzulassen?«
Tanja sah Michaela fest an. »Absolut nicht. Ich habe lediglich meine Vorstellungen von Unternehmensführung. Habt ihr, mein Vater und du, erwartet, ich übernehme einfach den alten Stil und nehme alles kritiklos hin?«
»Nein. Das heißt, woher soll ich wissen, was dein Vater erwartet hat? Ich für meinen Teil bin überrascht«, gab Michaela ehrlich zu.
»Das hast du der kleinen, zerbrechlichen Tanja nicht zugetraut, was?« fragte Tanja grimmig. »Schon vergessen? Ich habe ein abgeschlossenes Betriebswirtschaftsstudium.«
»Ja, ich weiß, aber . . .«
»Aber?«
Eigentlich hatte Michaela immer noch erhebliche Zweifel, dass es Tanja wirklich um die Firma ging. Aber falls doch – ». . . hast du auch den Biss, dich gegen den sicher nicht geringen Widerstand der alten Garde durchzusetzen? Ich glaube, du unterschätzt das Ansehen deines Vaters ein wenig. Er führt die Hotelkette seit über zwanzig Jahren. Erfolgreich.«
»Das kann sich aber schnell ändern, wenn er den Absprung verpasst. Er muss sich den neuen, analytischen Methoden öffnen.«
»Das wird er nicht gern hören. Wie ich ihn einschätze, wird er sich sogar sperren. Und seine Manager werden sich loyal hinter deinen Vater stellen.«
Tanja sah Michaela herausfordernd an. »Und du?«
»Ich?« Michaela wusste, dass sie nichts am Führungsstil Walter Kanters auszusetzen hatte. Wenn sie nun wirklich daran glauben sollte, dass Tanjas Interesse nicht darauf abzielte, ihrem Vater das Leben schwer zu machen, sondern dass sie sich ernsthaft um die Firma sorgte, dann . . . glaubte sie dennoch, dass Tanja ein wenig übermotiviert war, sich beweisen wollte. Und in ihrem Ehrgeiz Gefahr lief, über das Ziel hinauszuschießen.
»Ja, wo wirst du stehen? Hinter meinem Vater oder hinter mir?«
Michaela vermutete, dass Tanja glaubte, sie sagte jetzt, sie stelle sich hinter sie, um ihren Fehler wiedergutzumachen. Ganz so war das aber nicht. »Als deine Assistentin werde ich natürlich hinter dir stehen. Aber nicht, weil ich deine Meinung teile. Sondern, weil es meine Aufgabe ist.«
»Natürlich.« Tanja nickte betont langsam. »Du tust einfach das, was man dir aufträgt.« Michaela entging die versteckte Anspielung nicht. Und hätte sie Zweifel gehabt, beseitigte Tanja diese mit den Worten: »Dann erwarte ich das gleiche Engagement wie bei deinem letzten Auftrag. Da warst du nämlich sehr gut.«
Michaela ersparte sich eine Erwiderung. Tanja erwartete auch keine.
Kopenhagen, die Hauptstadt des ältesten Königreiches der Welt, empfing sie mit Regen. Ein Chauffeur des Hotels erwartete Tanja und Michaela am Ausgang der Zollkontrolle. »Willkommen in Kopenhagen. Mein Name ist Flemming Rasmussen. Ich wurde geschickt, Sie abzuholen.«
Während der Fahrt durch die Stadt sprachen Michaela und Tanja kein Wort miteinander. Der Chauffeur nahm das als Aufforderung, sich einzubringen.
»Waren Sie schon einmal in Kopenhagen oder Dänemark?«
»Ja«, antwortete Michaela.
»Nein«, lautete Tanjas Antwort, synchron mit Michaelas.
Aber ob ja oder nein war für den Fahrer ohnehin kaum von Bedeutung, denn fast in einem Atemzug mit der einen Frage stellte er schon die nächste: »Möchten Sie vielleicht ein wenig über die Geschichte der Stadt erfahren? Ich kann auch einen Umweg über die Altstadt machen.«
»Gern«, erwiderte Tanja höflich.
Flemming Rasmussen nickte begeistert und begann mit detaillierten
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