...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst
Vaters einzusteigen, wäre deine eigene gewesen? Glaubst du, das hätte ich nicht gekonnt?« Sie funkelte Tanja böse an. »Du machst es dir sehr leicht, meine Liebe, spielst die arme Hintergangene, verurteilst mich und deinen Vater. Tanja, die Heilige! Tanja, die Unfehlbare! Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass dies alles nur aus Rücksicht zu dir geschehen ist?«
»Aus Rücksicht? Ich höre wohl nicht richtig.«
»O doch, aus Rücksicht. Und Sorge! Glaubst du, dein Vater wäre auf diese, zugegeben, Schnapsidee gekommen, wenn er dir gegenüber gleichgültig wäre? Es wäre leichter für ihn gewesen, einen Geschäftsführer als seinen Nachfolger auszuwählen. Kandidaten gibt es reichlich im Unternehmen. Finanziell wäre das kein Unterschied für ihn. Er braucht sich um seine Rente nicht zu sorgen, so oder so. Er sorgt sich um dich! Deine Zukunft. Dein Leben. Er will, dass du etwas darstellst. Das ist vielleicht altmodisch, aber es ist seine Art zu lieben. Oder was glaubst du? Dass er dir unbedingt das Leben schwermachen will?«
Tanja schwieg, völlig überrumpelt von Michaelas Ausbruch.
Michaela aber hatte sich in Rage geredet, und sie war noch nicht fertig. »Und genauso vorschnell, wie du deinen Vater verurteilst, tust du es mit mir. Es ist ja auch am einfachsten, die Gekränkte zu mimen. Mir unedle Motive vorzuwerfen, damit du nicht über deine eigenen Fehler nachdenken musst.«
Tanja schnaufte böse. »Schluss jetzt! Ich lasse mich doch von dir nicht zum Buhmann in dieser Sache machen. Das wäre ja noch schöner.«
Sie stand auf und ließ Michaela einfach sitzen. Sollte das Personal doch denken, was es wollte. Was dachte sich Michaela denn dabei, sie derart anzufahren? Jetzt alles so darzustellen, als wäre man aus reiner Rücksicht zu ihr etwas über das Ziel hinausgeschossen. Das war lächerlich. Genauso wie ihr einreden zu wollen, ihr Verhalten hätte diese Farce nötig gemacht. Sie hatte sich dem Anliegen ihres Vaters, in die Firma einzutreten, verweigert. Ja. Aber doch nicht aus Faulheit oder Respektlosigkeit. Sie hatte gute Gründe gehabt. Gründe, die Michaela sehr gut kannte. Wollte sie ihr nun ernsthaft vorwerfen, egoistisch und undankbar zu sein? Mit welcher Begründung? Weil sie ihrer einsamen Kindheit hinterherhing, statt nach vorn zu sehen?
Tanja stutzte. Ihr Gedankensturm geriet ins Stocken. War das so? Tat sie das? Machte sie sich und anderen das Leben unnötig schwer?
Tanja ging auf ihr Zimmer, legte sich aufs Bett, verfiel ins Grübeln. Nicht darüber, ob Michaelas Verhalten, ihre Freundschaft gezielt zu suchen und sie zu manipulieren, gerechtfertigt war. Das war es ganz sicher nicht. Sondern darüber, ob sie, Tanja, ihrem Vater nicht irgendeinmal in den letzten Jahren mit offenem Herzen hätte zuhören sollen. Einmal ihre Verletztheit vergessen oder zumindest beiseite hätte schieben müssen. Ruhe und Gesprächsbereitschaft hätte zeigen sollen, damit ihr Vater ihre ablehnende Haltung nicht als pure Sturheit begriff. Und umgekehrt hätte sie seinen Wunsch, seine Nachfolge anzutreten, vielleicht nicht als altmodische, überholte Tradition verstehen sollen.
Mit dem Gedanken Wer weiß, wozu diese letzten Wochen trotz allem noch gut waren schlief Tanja irgendwann ein.
18.
D a sie so unerwartet zu einem »freien« Tag gekommen waren, entschloss Tanja sich, die Gelegenheit zu nutzen und die Bilanzberichte der Kanterschen Hotels, die sie in der ersten Woche gelesen hatte, untereinander einem Vergleich zu unterziehen. Die Dateien lagen alle auf ihrem Laptop, aber jede für sich sagte nicht so viel aus. Tanja wollte eine Übersicht erstellen, die ihr genau zeigte, wo ein Plus und wo ein Minus stand. Dazu konnte sie dann gleich ihre persönlichen Eindrücke einfügen, die sie im Laufe der Reise machte. Dank einer solchen Übersicht würde sie ihrem Vater gegenüber bessere Argumente haben, wenn es später in die Diskussion ging.
Tanja schaltete ihr Laptop an, wartete, bis es hochgefahren war, und legte eine Datei an, in der sie die Kennzahlen auflistete. Dann öffnete sie den ersten Bericht, naheliegenderweise begann sie mit London. Das häufige Hin- und Herwechseln zwischen den Dateien erwies sich allerdings ziemlich bald als nervenraubend. Besser wäre es, überlegte Tanja, wenn sie einen Drucker hätte, so dass sie die Zahlen auf einem Blatt Papier bekam, von dem sie sie dann einfach in die Tabelle übertragen konnte. Aber woher jetzt einen Drucker bekommen?
Hm, nun ja, du hast
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