Unheilig (Die Chroniken der Schatten) (German Edition)
einen Schlachtruf der Jäger gab es nicht, auch kein Motto oder etwas Ähnliches. Das hier war ein ausgefuchstes Rätsel, welches nur jene lösen konnten, die Anhänger der Weißen Schwäne waren. Daniel wischte sich den Schweiß vom Gesicht und befeuchtete seine trockenen Lippen. Ihm war heiß und er hatte höllischen Durst. Wenn sie doch nur eine Flasche Wasser mitgenommen hätten...
Wasser. Plötzlich trat ihm der Brunnen in den Sinn. Der Brunnen, der im Garten des Museums gestanden hatte, mit dem marmornen Ring und den lateinischen Worten...
„Ad fontes ad infinitum ad maiorem Dei Gloriam“, sagte er. „Der Spruch auf dem Brunnen! Vielleicht ist das die Antwort!“
„Was für ein Spruch?“, fragte Joe mit hochgezogener Augenbraue.
„Er stand auf dem Brunnen im Garten und ein Jäger war es, der ihn gefertigt hat. Die Worte lauten übersetzt 'Zurück zu den Quellen ins Unendliche, zum größeren Ruhme Gottes'.“
„Was soll das denn heißen?“, fragte Joe und verschränkte die Arme. „Zurück zu den Quellen, wie bescheuert...“
„Nein, ganz und gar nicht bescheuert! Es ist ein Blutzoll! Vergiss nicht, welchem Elixier Samael seine fleischliche Existenz verdankt, nämlich Blut! Er wollte diejenigen, die es schaffen sollten, bis hierher zu gelangen, schwächen, indem er von ihnen Blut verlangt! Und wer immer diese Worte hier in den Stein gemeißelt hat, macht uns mit den 'Quellen' darauf aufmerksam. Der Quell des Lebens ist Blut!“
Joe presste die Lippen aufeinander und musterte Daniel mit einem festen Blick.
„Blut ... wie ordinär. Ich weiß nicht, ob das klappt. Klingt ziemlich abgedroschen, findest du nicht?“
„Samael ist ein Idiot“, meinte Daniel nur. „Wir sollten es auf jeden Fall mal probieren.“
Michael sah Joe an, der einen merkwürdig entrückten Ausdruck im Gesicht hatte, und nickte dann.
„Aber vorher“, sagte Joe und patschte in die Hände, „präparieren wir die Knochen! Alle Katakomben, in denen sich auch nur ansatzweise Knochen befinden, werden gesalzen und mit Spiritus beträufelt! Nur für den Fall, dass wir diesen Eingang tatsächlich öffnen können...“
Es dauerte über eine Stunde, sämtliche Katakomben zu überprüfen und die Skelette der Leichen mit einer Prise Salz zu bestreuen, doch alle fühlten dabei eine immense Genugtuung und Ruhe. Es war beruhigend zu wissen, dass sie Vorkehrungen trafen, die ihr aller Leben schützen sollte. Zumindest die Leben von Daniel und Seth, denn, wie Joe gehässigerweise immer wieder betonte, konnten Geister Vampiren nicht viel anhaben, schließlich waren Vampire nicht im herkömmlichen Sinne in der Lage zu sterben. Sie waren bereits tot.
„Ein Geist kann uns höchsten ein paar hässliche Kratzer zufügen“, sagte Joe süffisant. „Aber töten kann er uns nicht.“
„Wenn du weiter so blöde Reden schwingst, kann ich das gerne für die Geister übernehmen!“, fauchte Daniel entnervt.
Als sie sicher waren, nicht auch nur ein einziges Skelett übersehen zu haben, wandten sie sich wieder der Steinwand zu.
„Also, wer möchte für uns bluten?“, warf Daniel belustigt in die Runde.
Seth trat instinktiv einen Schritt zurück. Die Platzwunde und die gebrochene Nase hatte er noch in zu guter Erinnerung, als dass es ihn danach dürstete, sich erneut zu verletzen. Michael schürzte die Lippen und fixierte einen Punkt an der mit Spinnweben verhangenen Decke.
„Na schön“, sagte Joe missmutig. „Da sich alle darum reißen -“
Mit düsterem Gesichtsausdruck schnitt er sich mit dem Nagel in die Pulsadern, aus denen augenblicklich dunkelrotes Blut spritzte. Die Fontäne ergoss sich über den trüben, dreckigen Sandstein und bekleckerte ihn mit einem großen, rot schimmernden Fleck.
Doch nichts geschah. Die Wand sah immer noch äußerst fest und stabil aus und schien sich nicht zu rühren.
„Hat es geklappt?“, fragte Seth neugierig.
Joe sah verwundert aus und zog die Augenbrauen zusammen.
„Nein, hat es nicht. Es liegt wohl ein Fluch darauf.“
Er ließ das Blut aus seinem Handgelenk in seine linke Handfläche laufen und verrieb es. Dann malte er mit den Fingern ein auf dem Kopf stehendes Pentagramm aus Blut an die Wand. Es fing fast augenblicklich an zu leuchten und begann,
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