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Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
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kennengelernt hatten. Addy versuchte nicht, nähere Einzelheiten aus ihm herauszuholen. Sie hörte aufmerksam zu, mit einem sonderbaren Ausdruck im Gesicht, den er später als Zärtlichkeit erkannte. »Ich freue mich so für dich, Buddy«, sagte sie und berührte ihn leicht an der Schulter.
    Vielleicht werden Addy und ich doch noch Freunde, dachte er, erstaunt darüber, was Liebe alles bewirken konnte.
    Er wurde sich der Schönheit der Welt um ihn herum bewusst. Leuchtende Farben, atemberaubende Sonnenuntergänge, strahlend helle Neonlichter. Konnte über jeden Witz lachen. Lachte auch über Dinge, die gar nicht so komisch waren, zum Beispiel die blöden Witze, die Randy Pierce beim Mittagessen in der Cafeteria riss. Sah sich machmal im Spiegel und entdeckte ein idiotisches Grinsen auf seinem Gesicht, aber das war ihm egal.
    An manchen Abenden oder Nachmittagen sahen sie sich nicht. Ich muss Schularbeiten machen, sagte Jane. Und so kam es, dass auch Buddy Schularbeiten machte. Manchmal trafen sie sich in der Stadtbücherei von Burnside und erledigten ihre Schularbeiten im Lesesaal, saßen Seite an Seite, und obwohl ihre Gegenwart ihn ablenkte, schaffte er es, seine Aufgaben zu machen. Er kam sich älter vor, verantwortungsbewusster. Wusste, dass er eines Tages, wenn er Glück hatte, Jane Jerome heiraten würde. Er würde ihr Ehemann werden, würde Vater werden – schon die bloße Vorstellung raubte ihm den Atem.
    Jane durchlebte herrliche, schwerelose Tage. Sie schwebte förmlich, als berührten ihre Füße kaum die Erde, als könnte sie wie ein Luftballon in den Himmel emporfliegen, auf Nimmerwiedersehen. Das wäre schrecklich, denn das Leben auf Erden war so unglaublich schön. Der Frühling explodierte in Kaskaden von Vogelgezwitscher und Blumen. Sie kam sich selbst wie eine Blume vor, die sich entfaltete, in Zeitlupe wie die Blumen in Walt-Disney-Filmen. Das war natürlich lächerlich, aber eigentlich auch wieder nicht.
    Wenn sie neben Buddy einherging, fühlte sie sich wie eine Frau und zugleich doch unwiderstehlich mädchenhaft. Wollte sich in Röcken drehen, wollte Seide an der Haut spüren, Nylon an den Beinen. Mochte das Klappern ihrer Absätze auf dem Bürgersteig oder auf dem Kachelboden des Einkaufszentrums. War entzückt von sich, schlang oft die Arme um den eigenen Körper. In ihm gab es eine Million geheimer Stellen, die nicht existiert hatten, bevor sie Buddy traf. Er sollte sie alle erforschen, sie alle finden, denn sie ahnte, dass dieses Finden ihr Wonne bescheren würde. Sie stellte oft fest, dass ihre Augen in Tränen schwammen, obwohl sie gar nicht weinte. Anstatt zu duschen, lag sie lange in der Badewanne, fuhr mit den Fingerspitzen über die Haut, hielt ihre Brüste in den Händen und spürte einen Schmerz.
    Sie konnten nicht genug voneinander bekommen, und deshalb wurden Regeln erforderlich. Unausgesprochene Regeln, aber dennoch Regeln, die Grenzen zogen, wie weit sie ihrem gemeinsamen Instinkt nach gehen konnten. Die Länge der Küsse, wie weit ihre Berührungen und Zärtlichkeiten vordringen durften. Es machte ihn wild, ihre Brust zu umfassen; das Wasser lief ihm im Mund zusammen und ein plötzlicher, peinlicher Erguss drohte. Aber nie beide Brüste zugleich und nie unter ihrem Pullover. Liebevoll umarmten sie einander, ihre Körper ein köstliches Durcheinander. Buddy versuchte nie, diese stillschweigenden Grenzen zu überschreiten. Eines Abends aber versteifte er sich mitten im längsten Kuss, den sie je hatten, die Münder aneinandergesaugt, die Zungen ineinander verschlungen, seine Hand knetete ihre Brust, und dann löste er sich von ihr, während ein Beben seinen Körper durchlief, wurde still und stumm. Sie griff in die Dunkelheit – sie waren auf dem Rücksitz im Wagen ihrer Mutter – und berührte seine Wange, ertastete Feuchtigkeit und begriff, dass ihm Tränen aus den Augen quollen. Zärtlich, behutsam, nahm sie ihn in die Arme und liebte ihn für diese Tränen nur noch mehr.
    Und doch gab er ihr Rätsel auf, die sie nicht lösen konnte. Gelegentlich verstummte er, war tief in Gedanken, unerreichbar. Dann geriet sie in Panik, befürchtete, dass er ihr irgendwie entgleiten könnte, aus ihrem Leben verschwinden. Sie wollte ihn ihren Eltern vorstellen, aber er hatte immer eine Ausrede, um es nicht dazu kommen zu lassen. Nur selten holte er sie zu Hause ab, und wenn er es tat, drückte er auf die Hupe und wartete, dass sie aus dem Haus kam. Meistens trafen sie sich in der

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