Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)
Volk freute, da sie Abwechslung in sein etwas eintöniges Dasein brachte. Ich zweifle nicht, dass dieses Vergnügen viel zu der allgemeinen Ansicht beitrug, die Verbrennung von Ketzern sei eine rechtschaffene Handlung. Dasselbe gilt vom Krieg. Kräftige und brutale Leute finden oft Gefallen am Kriege, vorausgesetzt, dass er siegreich endet und Vergewaltigung und Plünderung nicht allzu streng geahndet werden. Dies trägt viel zur Überzeugung von der Rechtmäßigkeit der Kriege bei. Dr. Arnold, der Held von »Tom Browns Schulzeit« und gefeierte Reformer der Public Schools, geriet an einige Sonderlinge, die es für einen Fehler hielten, Schüler zu verprügeln. Wer seinen grimmigen Entrüstungsausbruch gegen diese Anschauung liest, wird zu dem Schluss kommen müssen, dass die Prügelstrafe dem Dr. Arnold Genuss bereitete und er sich dies Vergnügen nicht nehmen lassen wollte.
Es wäre leicht, noch ein Vielfaches der obigen Beispiele dafür anzuführen, dass Überzeugungen, die die Grausamkeit rechtfertigen, selbst grausamen Impulsen entsprungen sind. Wenn wir frühere Anschauungen, die heute als absurd gelten, Revue passieren lassen, so werden wir in neun von zehn Fällen finden, dass sie die Verhängung von Leiden guthießen. Nehmen wir zum Beispiel die Heilbehandlung. Als die Betäubungsmittel erfunden wurden, hielt man sie für einen sündhaften Versuch, Gottes Willen zu durchkreuzen. Den Wahnsinn führte man auf Besessenheit vom Teufel zurück und glaubte, man könne die bösen Geister, die in einem Verrückten wohnten, austreiben, indem man diesem Schmerzen bereitete, bis es den Geistern unbehaglich wurde. In dieser Anschauung befangen, behandelte man Verrückte Jahre hindurch mit systematischer und gewissenhafter Grausamkeit. Ich kenne keine medizinische Fehlbehandlungen, die nicht für den Patienten eher unangenehm als angenehm gewesen wäre. Oder nehmen wir die moralische Erziehung. Denken wir nur, wie viel Brutalität sich rechtfertigen ließ mit dem Sprichwort:
»Dein Hund, dein Weib, der Nussbaum dein, wollen mit Schlägen erzogen sein.«
Ich habe keine Erfahrungen über die moralische Auswirkung der Geißelung auf Nussbäume, aber kein zivilisierter Mensch würde heute dem Sprichwort in Bezug auf Ehegattinnen rechtgeben. Der Glaube an die erzieherische Wirkung der Strafe ist schwer auszurotten, meines Erachtens hauptsächlich deshalb, weil er unseren sadistischen Eingebungen so sehr entgegenkommt.
Aber obwohl die Leidenschaften an den Übelständen im menschlichen Leben mehr Schuld tragen als die Überzeugungen, so wohnt doch diesen, besonders wo sie althergebracht, systematisch und in Organisationen verankert sind, große Macht inne, wünschenswerte Meinungsänderungen zu verzögern und Leute, die sonst nach keiner Richtung hin ausgeprägte Gefühle haben, nach der falschen Richtung hin zu beeinflussen. Da mein Thema »Ideen, die der Menschheit geschadet haben« heißt, so werde ich besonders schädliche Überzeugungen behandeln.
In der Vergangenheit stechen da zunächst jene Überzeugungen am meisten hervor, die man, je nach persönlicher Voreingenommenheit, religiöse oder abergläubische nennen kann. Man glaubte, Menschenopfer würden bessere Ernten bringen, zunächst aus rein magischen Gründen, dann auch, weil man das Blut der Opfer für den Göttern wohlgefällig hielt, die gewiss nach dem Ebenbilde ihrer Anbeter geschaffen waren. Wir lesen im Alten Testament, dass die völlige Ausrottung besiegter Völker religiöse Pflicht und selbst die Schonung ihrer Rinder und Schafe schon Sünde war. Düstere Schrecken und Leiden im Jenseits bedrückten schon die Gemüter der Ägypter und Etrusker, setzten sich aber erst mit dem Siege des Christentums ganz durch. Düstere Heilige, die sich aller sinnlichen Freuden enthielten, einsam in der Wüste lebten, sich Fleisch und Wein und den Umgang mit Frauen versagten, waren dennoch nicht verpflichtet, sich aller Genüsse zu enthalten. Geistige Genüsse hielt man für den körperlichen überlegen, und unter den geistigen nahm die Betrachtung der ewigen Qualen, denen Heiden und Ketzer im Jenseits unterworfen sein würden, einen hohen Rang ein. Es ist ein Nachteil der Askese, dass sie nur in sinnlichen Freuden Böses sieht, und doch sind in Wirklichkeit nicht nur die edelsten, sondern auch die allerniedrigsten Genüsse rein geistiger Art. Denken wir an das Vergnügen, das Miltons Satan bei der Betrachtung des Bösen empfindet, das er der Menschheit
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