Unser Leben mit George
gab auch Zeiten, wo man
einfach nur für seine Kinder da sein wollte — um mit ihnen zusammen zu sein und
gar nichts weiter zu tun, als sich vor dem Fernseher zu räkeln und dafür zu
sorgen, dass sie zu einer vernünftigen Zeit ins Bett gingen.
Wenn es Alex und mir wirklich einmal
gelang, einen freien Abend zusammen zu verbringen, dann hatten wir kein ruhiges
Plätzchen, wo wir allein sein konnten. In seinem Haus waren vier Kinder und
deren verschiedene Freunde. Bei mir waren Joshua und seine Freunde, außerdem
Martina und meist auch ihre Freundin Ivona, die mit ihrem epileptischen
Schützling auf dem Schoß in der Küche saß und Cappuccino trank. Wenn wir allein
sein wollten, trafen wir uns oft auf der Bank an der Ecke unserer beiden
Straßen. »Jetzt sieh dir das an«, sagte er eines Abends, als wir mit unseren
Hunden dort saßen, Coca-Cola aus Dosen tranken und dazu Chips aßen. »Wir
besitzen jeder ein Haus in dieser Straße und müssen uns hier draußen
herumtreiben wie zwei Obdachlose!«
Bei beiden von uns gab es einfach ein
Übermaß an Familienleben. Es war aussichtslos, bei zwei verschiedenen
Haushalten alles unter einen Hut zu bringen, auch wenn wir praktisch Tür an Tür
wohnten. Alex und ich hatten einfach nicht genügend Zeit, einander besser
kennenzulernen. Die Lösung wäre natürlich gewesen, zusammenzuziehen. Aber dazu
wäre von beiden Seiten ein großer Vertrauensvorschuss nötig gewesen, ganz
abgesehen von einem noch größeren Haus als dem seinen. Meine Wohnung wäre ganz
bestimmt nicht groß genug für uns alle gewesen, und in Alex’ Haus hätten wir
kein Zimmer für Joshua gehabt, es sei denn, zwei der Kinder hätten sich ein
Zimmer geteilt, was aber meist katastrophale Folgen hat.
Eigentlich schienen Alex und ich wie
füreinander geschaffen. Aber aus irgendeinem Grund, den wir beide nicht
verstanden, klappte es doch nicht so recht. So gut wir uns auch verstanden,
wenn es hart auf hart ging, wollte keiner von uns sein Heim und seine
Lebensgewohnheiten aufgeben. Es war einfach zu riskant, vermutlich fürchteten
wir beide, die Gewinnchancen bei diesem Einsatz seien nicht hoch genug. Also
einigten wir uns: statt Liebesbeziehung eine enge Freundschaft — auch die kann
wertvoll sein.
Jede gute Beziehung hat mal ein Ende.
Diesmal erwartete ich, dass Joshua sehr enttäuscht sein würde. Er hatte mir
bereits unterbreitet, dass, wenn er jemals einen Stiefvater haben müsste, dies
nach Möglichkeit Alex sein sollte. Also hatte ich große Bedenken, als ich ihm
sagen musste, dass wir uns nicht mehr trafen. Er reagierte jedoch auf die
Neuigkeit weitaus gefasster, als ich erwartet hatte, vielleicht war er
beruhigt, weil Alex ihm versprochen hatte, immer für ihn da zu sein. Mit seinen
zwölf Jahren war Joshua emotional gefestigter und selbstsicherer, als ich es
von einem Jungen seines Alters erwartet hätte, noch dazu von einem Jungen, der
seinen Vater verloren hatte. Es beeindruckte mich sehr, wie er mit der
schwierigen Situation fertig wurde.
Nein, es war George, der über unsere
Trennung untröstlich war. Er konnte es einfach nicht verstehen, warum wir Alex
nicht mehr besuchten oder warum es keine Take-aways mehr zum Naschen gab. Auch
die Leckerbissen draußen auf Hampstead Heath gab es nicht mehr. Jedes Mal, wenn
wir an Alex’ Gartentür vorbeikamen, blieb er schnuppernd stehen, sah mich
flehend an und wedelte versuchsweise mit dem Schwanz, als wollte er sagen:
»Können wir nicht doch reingehen?« Wenn ich weiterging und er sich widerwillig
mitziehen ließ, wurden seine Augen ganz traurig bei der Erinnerung an die
Grillfeste im Garten und die Fahrten im silberfarbenen Mercedes.
Auch ich war sehr traurig, dass meine
Beziehung zu Alex nicht gehalten hatte, aber nicht nur wegen dieser wunderbaren
Grillfeste. Ich wusste, es war ein Glücksfall gewesen, einen so netten und
großzügigen Mann kennenzulernen — noch dazu jemanden, der sich so gut mit
Joshua verstand — , und ich fühlte mich wie ein Versager, weil ich mich
vielleicht nicht genügend bemüht hatte. Was war los mit mir? Was wollte ich
denn noch, in meiner Situation und in meinem Alter?
Von Zeit zu Zeit dachte ich an Mr
Belsize Park, den rätselhaften Fremden, der mir damals in der U-Bahn begegnet
war. Ich fragte mich, ob mein Leben eine andere Wendung genommen hätte, wenn
ich mit ihm gesprochen hätte. Vielleicht hätte er sich als mein Seelenfreund
entpuppt — oder vielleicht doch als Massenmörder! Egal, ich hielt noch
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