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Unsterbliches Verlangen

Unsterbliches Verlangen

Titel: Unsterbliches Verlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katryn Smith
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hatte schreckliche Angst.
    Er wollte sie beruhigen, aber der Duft ihres Blutes und ihr Herzklopfen lenkten ihn zu sehr ab und waren zu verlockend. Solange ihn sein Hunger quälte, war er unfähig, ihr alles in Ruhe zu erklären. Also neigte er den Kopf wieder zu ihrer Brust und trank, bis er gesättigt war.
    Als er sich wieder aufrichtete, starrte sie ihn an wie eine Wahnsinnige. Es roch nach ihrer Angst, ihrem Schweiß und ihrem Urin.
    Angewidert von dem Gestank, der seinen empfindlichen Geruchssinn verletzte, und entsetzt von sich selbst, war Chapel zurückgewichen. Was hatte er getan?
    Marie zuckte, als er aufstand, wie ein kleines Tier, das plötzlich mit einem Raubtier konfrontiert war. Dann sah sie hinunter zu ihrer entblößten Brust. Langsam zog sie ihr Nachthemd wieder hoch, um sich zu bedecken. Ihre Bewegungen waren unnatürlich langsam.
    »Meine Liebste.«
    Sie sah zu ihm auf - ein blasser Schatten des Mädchens, das er liebte. »Severian?«
    Er nickte und seufzte erleichtert. Sie war nicht wahnsinnig. Sie erkannte ihn. Alles würde gut.
    »Oui.«
    »Sie sagten mir, du seist tot.« Der Schmerz in ihrer Stimme durchbohrte ihn schlimmer als jede Schwertklinge.
    »Ich bin zurückgekommen, um dich zu holen.«
    Wieder wanderte ihr Blick zu ihrer Brust. Blut sickerte durch das jungfräulich weiße Leinen.
    Nun schrie sie erneut auf, lang und schrill. Es war zu schrill, und er musste sich die Ohren zuhalten, auch um das Entsetzen auszusperren.
    Marie sprang aus dem Bett. Rasch blockierte er ihr den Weg zur Tür. Er dachte, sie würde stehenbleiben, doch stattdessen drehte sie sich herum und rannte zur Balkontür.
    Er war nicht schnell genug, weil ihn der Schreck fast lähmte. Oder vielleicht hatte er auch nicht glauben wollen, dass sie sich tatsächlich etwas antun würde. Er war so sicher gewesen, dass sie glücklich wäre, ihn zu sehen, dass sie sein wollen würde, was er war.
    Eine Sekunde bevor er bei ihr war stürzte sie sich über die Brüstung.
    Er sprang ihr in dem Moment nach, in dem hinter ihm ihre Zimmertür aufgerissen wurde, und landete neben dem leblosen Körper seiner Verlobten.
    Marie lag auf dem Boden, ihr Nachthemd um die milchigen Schenkel gebauscht, die Augen weit offen und leer. Ihr Hals war unnatürlich angewinkelt, und eine kleine Blutspur rann aus den Malen an ihrer Brust zu ihrem Schlüsselbein.
    Tot. Sie war tot, und das war ganz allein seine Schuld.
    Schuldgefühle, Wut und Schmerz tobten in ihm, dass er aufheulte wie ein Wolf bei Vollmond. Oben auf dem Balkon stand Maries Vater, der sich bekreuzigte, während Chapel neben dem Leichnam der Frau, die er liebte, auf die Knie fiel.
    Und dann wurde alles leer in ihm, und er starrte in die toten blauen Augen, bis er den dicken Stahl eines Schwertes spürte, der sich ihm in den Rücken bohrte. Stumm blickte er an sich hinab. Die Schwertspitze drang vorn an seiner Brust wieder aus seinem Körper heraus. Erst als die Klinge wieder zurückgezogen wurde, fühlte er einen stechenden Schmerz, der sich in Zorn entlud.
    Langsam stand er auf und drehte sich zu seinem Angreifer um. Es war Maries Vater, der ihn mit einem ganz ähnlichen Ausdruck anblickte, wie Marie es zuvor getan hatte.
    »Mon Dieu!«
    »Du vergeudest deinen Atem«, hatte Chapel zu ihm gesagt und ihn beiseite gestoßen. »Er kann dir nicht helfen. Er kann keinem von uns helfen.«
    In jener Nacht hatte er das Dorf verlassen und war über zweihundert Jahre fortgeblieben. Als er schließlich wieder dorthin zurückgekehrt war, war er als Erstes an die Stelle gegangen, an der er Marie gehalten hatte. Irgendwie hatte er erwartet, eine Markierung irgendeiner Art zu finden, doch da war nichts gewesen.
    Er besuchte ihr Grab. Es sah so alt und verfallen aus, die Buchstaben verwittert, der Stein rissig und moosbedeckt. Um Vergebung und für ihre Seele betend, kniete er in der Gruft, aber nichts geschah. Falls Gott ihn hörte, antwortete Er nicht.
    Was man Marcus Grey erzählt hatte, stimmte nicht. Severian de Forice hatte seine Verlobte nicht getötet.
    Chapel hatte es getan.
    Und Pru Rylands Kuss war keine Belohnung gewesen - aber eine Strafe wohl ebenso wenig. Vielmehr war er eine Erinnerung gewesen.
    Eine Erinnerung an alles, was er sich gewünscht und was er zerstört hatte. Eine Erinnerung an alles, was er nie, niemals haben könnte.

    »Er hat was gemacht?«
    Pru zog ihre Schwester mit sich zur Terrassentür hinaus. Caroline fragte so laut, dass es sogar die Mäuse auf dem Dachboden gehört

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