Unter dem Zwillingsstern
kennenzule r nen war in der Tat eine ungewöhnliche Erfahrung. Eine W oche nach d e m Test bat m a n Carla in das Büro von Universal Europa, wo sie ihr und Paul Kohner vorgestellt wurde. Kohner entpuppte sich als großer, freundlicher Böh m e m it früh gelichtetem H a ar und ein e r für einen Produzenten außergewöhnlich ritterlichen Haltung; er behandelte sie äußerst zuvorko mm end, ohne auch nur den leisesten Versuch zu m ac h en, mit ihr zu flirten. Auf seinem Schreibtisch stand groß und deutlich das Photo einer dunkelhaarigen Schönheit, aber auch der Intendant in Da r m stadt war verheiratet gewesen und hatte zu Beginn der Saison nicht nur bei ihr, sondern bei allen jungen Darstellerinnen Annäherungsversuche ge m acht.
Doch wenn Kohner sich für e i nen mächtigen Mann ungewöhnlich zurückhaltend benah m , konnte m an das gleiche nicht von der extravaganten Erscheinung behaupten, die Carla, die Hände in die Hüften gestem m t , a bschätzend musterte. Bis auf Philipp hatte sie noch nie je m and so offen angestarrt, und sel b st Philipp war bei ihrer ersten Begegnung nicht ein paar m al um sie heru m gegangen, als sei sie ein feilgebotenes Stück Vieh auf d e m M a rkt, dessen Kauf man sich überlegte.
»Sprechen S ie Englisch?« erkundigte sich die platinblonde Frau in dieser S p rache.
»Ja«, antwortete Carla, ein wenig stockend, »aber leider nicht so flüssig wie Französisch. Es ist m eine letzte Fremdsprache gewesen.«
Die Blonde warf den Kopf zurück und lachte. »Paul, Ihr E uropäer seid fabelhaft. Muß da m it zusammenhängen, daß hier alles um die Ecke liegt. Hören Sie, Honey, wir m achen den Film gleic h zeitig in drei Sprachen, und wenn wir nicht noch zwei weitere Schauspielerinnen bezahlen m üssen, dann ist das ein großes Plus für S i e.« W i e um diesem Ko m pl i m ent den W i nd aus den Segeln zu neh m e n, fügte sie hinzu: »Im Gegensatz zu Ihr e n fürchterlichen Theatergri m assen. Aber das werden wir Ihnen noch abgewöhnen.«
Seit der T o n f ilm die naturge g ebe n e Inter n ati o nalität des Stumm f il m s mit neuen natio n alen Gren z en zerstört hatte, arbeitete die Fil m wirtschaft an Methoden, um diesen plötzlichen Marktverlust wieder wettzu m achen. Einen Film gleic h zeitig in Deutsch, Englisch und Französisch zu drehen war die europäische Methode, und Paul Kohner hatte vor seiner Verset z ung nach Europa Produktionen überwacht, die gleichzeitig in Englisch und Spanisch drehten, für den lateina m eri k anischen M arkt. Gene v i eve war also wirklich erfreut, obwohl der Akzent des Mädchens sehr ausgeprägt war. Nun ja, Carmilla spielte in Deutschland; es w ü rde nie m andes Illusion zerstören.
»Dann wollen Sie m i ch engagiere n ? « fragte ihre Entdeckung, die m it ihrem eigenen roten Pagenkopf und den m o dernen Kleidern um einiges gewitzter als D esde m ona wirkte, auf deutsch und an Paul gewandt, e h e sie die Frage für Ge n evieve auf englisch wiederholte. Die wörtliche Übersetzung entloc k te Genevieve ein Schmunzeln, und sie konnte es sich nicht verkneifen, zu antworten, das ginge doch etwas zu sc h nell für s ie.
» To engage heißt auch sich verlob e n«, erläuterte Paul Kohner hil f sber e it.
Genevieve wartete darauf, das Mädchen jetzt erröten zu sehen, aber Carla lachte ebenfalls und m einte: »Ja, das wäre wirklich etwas schnell. Aber verlobt ist noch nicht verheiratet.«
Sie sprach wieder deutsch; der neckende Unterton war jedoch unverkennbar. Ach du m e i ne Güte, dac h te Genevieve, nicht nur belustigt. Das Mädchen war zu m i ndest n i cht naiv, a b er sie hatte Genevieves Musterung nicht ganz richtig gedeutet. Es ging Genevieve in erster Linie daru m , das Potential, das sie in Carla erkannte, auf der Leinwand auszubeuten; sie hatte b e reits e ine Affäre m it Dolores Mannhei m , der Schauspielerin, die f ür die Rolle der Laura vorgesehen war. Mit m ehr als einer Hauptdar s tellerin etwas a n zufangen würde die At m osphäre beim Drehen heill o s vergi f ten, d a m it kannte sie sich aus. Überdies war Dolor e s empfindlich genug; sie gehörte zu den europäischen Schauspielern, die kurz vor Durchbruch des Tonfil m s nach Hollywood gekommen war e n, dort zwei oder drei erfolgreiche Fil m e ge m acht hatten und dann durch ihren Akzent jäh allen Zugang zu ihrem früheren Rollentypus verloren hatten. Ca rm illa war der let z te Versuch, ih r e Karri e r e zu retten. Nein, G e nevieve, die bereits als graue Maus Jenny in
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