Unter der Haut (German Edition)
geboren werden wollten – der Krieg sei schuld – und dass ich brav sein und selber für mich sorgen müsse. Es war acht oder neun Uhr. Ich wanderte unbeachtet umher, hörte die Schreie der Frauen, die in den Wehen lagen, oder stand an den Bettchen der Neugeborenen im Kinderzimmer und wünschte, dass ich eines von ihnen liebkosen könnte. Irgendwann befahl man mir, ein Bad zu nehmen, irgendwann wurde ich rasiert; das war damals üblich.
Die Leiterin der Klinik, eine große, korpulente Frau ohne Ausbildung, die stets eine Schwesternuniform trug, war bei den meisten Geburten zugegen und assistierte. Sie hatte ein kollegiales Verhältnis zu den Ärzten, kaum mehr als ein Dutzend, die in der Klinik ein und aus gingen.
Sie kam zu mir und teilte mir herablassend mit, sie sei froh, dass ich weniger Theater mache als einige der anderen Frauen. Ich kam erst gegen Morgen in den Kreißsaal, wo man mir ein hohes Bett zuwies und mich dann wieder mir selber überließ. Ich hatte schreckliche Schmerzen. Eine mehr oder weniger zutreffende Beschreibung findet sich in
Eine richtige Ehe
– die muss reichen.
Manche Frauen sagen, es sei nicht wahr, dass man vergesse, wie weh die Geburt getan habe. Doch ich glaube, man erinnert sich der Tatsache, dass man furchtbare Schmerzen hatte, nicht aber der Schmerzen selbst. Man vergisst die Intensität der Schmerzen schon zwischen den einzelnen Schmerzen. Wahres Erinnern heißt, sich nur für den Bruchteil einer Sekunde oder für einen winzigen Moment wieder in der Erfahrung selbst zu befinden. Man erinnert sich schmerzerfüllt an die Schmerzen, voller Liebe an die Liebe, erinnert sich an das wirklich Beste in einem selbst.
Was ich im Nachhinein interessant finde, ist die Tatsache, dass ich Schmerzen hatte, und zwar starke Schmerzen. Ich war noch keine zwanzig. Ich war gesund. Und wenn es so ist, dass die Erwartungen, die man hat, Einfluss darauf haben, was man körperlich durchmacht, dann hätte die Geburt genauso leicht sein müssen wie die beiden späteren.
Vielleicht lag es daran, dass ich mutterseelenallein war und mir keiner beistand. Der einzige Mensch, der mir während der langen Wehen vor dieser ersten Geburt Trost spendete, war die schwarze Putzfrau, die den Fußboden wischte. Immer wieder liest man in Memoiren, Romanen oder Autobiografien, wie Weiße von Schwarzen ganz normale, anständige menschliche Wärme bekommen haben, wenn sie welche brauchten.
Wo war mein Mann? Er machte mit den Jungs einen drauf, wie es sich damals gehörte. Die Vorstellung, dass Männer ihren Frauen beistehen sollten – ich kann mir denken, was die Leiterin dazu gesagt hätte. »
Die
will man doch nicht dabeihaben – die stören doch bloß.«
Die Babys störten und wir, die Mütter, ebenfalls.
Als das Baby geboren war, mein Sohn John also, hielten sie ihn hoch, dass ich ihn sehen konnte, ein langes, mageres Baby, das in den Armen der Schwester strampelte. »Da haben Sie einen echten Rugbyspieler zur Welt gebracht«, hörte ich, als ich aus dem Kreißsaal gefahren und er irgendwo anders hingebracht wurde. Ich lag wund und verloren da und sehnte mich danach, das Baby im Arm zu halten. Als ich schüchtern darum bat, ihn sehen zu dürfen, sagte man: »Sie werden ihn bald mehr als genug um sich haben, wozu denn die Eile?« Später sagte man mir, ich solle mir keine Sorgen machen, er bekomme schlückchenweise Zuckerwasser zu trinken, und ich würde ihn am nächsten Morgen sehen. Ich versuchte mich durchzusetzen, Tigger machte sich schwach darüber lustig, und sie brachten ihn mir noch am selben Abend, das heißt fast zwölf Stunden nach der Geburt, aber nur für fünf Minuten. Die Leiterin der Klinik stand die ganze Zeit dabei, und kaum hatten die Lippen des Babys die Brustwarze gefunden, entriss sie ihn mir wieder. »Das reicht fürs erste Mal.«
Der Geist Dr. Truby Kings erfüllte die Lady-Chancellor-Entbindungsklinik. Von Anfang an wurde streng nach Plan alle vier Stunden gefüttert, es sei denn, das Baby hatte Untergewicht; meins wog über sieben Pfund. Ein Baby, das zwischendurch Hunger hatte, ließ man schreien. »Er muss lernen, wer das Sagen hat.« »Er muss begreifen, dass nicht alles nach seiner Pfeife tanzt.« Wenn die Kinder fertig getrunken hatten – man ließ sie nie länger als eine halbe Stunde bei ihren Müttern –, wurden sie auf einem Wagen abtransportiert oder auch hier und da von den Krankenschwestern weggetragen. Danach war es kurze Zeit still, und man konnte, mit etwas
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