Unter Korsaren verschollen
Land.
Italien, unterdrückt und bevormundet von deinen eigenen Fürsten und von Fremden! Ihnen gilt der Kampf bis zum letzten Blutstropfen.
Andrea Parvisi, du bist reich und mächtig; hilf mir, hilf uns, ohne auf den Totenkopf zu schwören, daß die Macht fremder Herren in Italien gebrochen wird! Sind wir Italiener denn weniger als andere Menschen, sind wir schlechter oder dümmer, daß man uns verwehren darf, was sie selbst so stolz für sich in Anspruch nehmen: eine Nation zu sein? Auch wir wollen frei sein und eigene, unsere Wege gehen. Ich fordere noch mehr. Das Mittelländische Meer muß frei sein für unsere Schiffe.
Ungehindert sollen es unsere Segler kreuzen können. Es darf keine Sklaven mehr geben! Weder Sklaven in Ketten noch solche in geistigen Banden!« Giacomo Tomasinis Augen glühen. Die beiden Kaufleute schweigen betroffen. Zu unerhört, zu kühn ist, was sie eben hörten.
Welch ein Feuer, welch eine Kraft offenbarte sich eben vor ihnen. Sie können dem Bann nicht entfliehen, den der Herr der Berge, der Räuberhauptmann Tomasini, um sie geschlagen hat. Es sind große Gedanken und Ziele, sie erkennen es an.
»Beweise müßte man gegen Gravelli haben. Allein auf seine Bemerkung am Hafen kann man keine Anklage aufbauen«, bemerkt endlich Parvisi.
»Natürlich nicht, Andrea. Wir werden diese Beweise suchen. Du und ich. Vielleicht haben wir sogar schon einen Anhaltspunkt in der Hand.« Die Kaufleute blicken Tomasini überrascht an.
»Vielleicht, ich weiß es nicht genau«, fährt Parvisis Freund fort. »Zugleich mit euch ist mir ein besonderer Vogel ins Garn gegangen. Ein Bote Gravellis an seinen Sohn Pietro in Wien. Er kam wenige Schritte hinter eurem Wagen geritten. Meine Leute waren gezwungen, ihn festzuhalten, um den Überfall nicht vorzeitig bekannt-werden zu lassen. Ich habe mir erlaubt, die Botschaft zu lesen. Das bringt so mein Handwerk mit sich, ihr versteht?« Das ist wieder der spöttische Herr der Berge, der so spricht. »Der Inhalt des Schreibens erschien mir unverfänglich, obwohl ich das Gefühl nicht loswerden konnte, daß die Worte doch eine besondere Bedeutung haben müßten. Gravelli ist ein alter Gauner. Ich kenne ihn besser, als er wahrscheinlich vermutet. Er ist selbst Bandit gewesen, aber ein echter, der stahl und raubte, nicht um den Hunger zu befriedigen, sondern um reich zu werden. Ein Verbrecher. Daß er wirklich nur Unwesentliches schreiben kann, halte ich nach deiner Er-zählung, Andrea, für falsch. Hört einmal zu.«
Tomasini zieht den Brief hervor und liest.
»Encore une fois, je vous prie! – Noch einmal, bitte«, fordert de Vermont, sich der Muttersprache bedienend.
Der Bitte wird nachgekommen. Die ersten Sätze sind Grüße, Familienangelegenheiten, die kaum Geheimnisse enthalten können.
»Jetzt langsam, Giacomo«, macht Parvisi aufmerksam.
Der liest: »Leider, mein lieber Junge, muß ich Dir mitteilen, daß die Jagd nicht den Erfolg hatte, den wir von ihr erhofften. Gestern erfuhr ich zu meinem großen Leidwesen und Schrecken, daß der Fuchs der Meute entschlüpft ist. Die Jäger haben das kostbare Wild verpaßt, obwohl sie doch bestens auf die Fährte gesetzt worden waren. Aber ich werde alles tun und keine Kosten und Mühen scheuen, das Tier doch noch zur Strecke zu bringen. Geduld ist das einzige, um das ich Dich bitte.«
»Ich glaube, das genügt. Der Fuchs – ist Luigi, mein Sohn!«
»Davon bin ich auch überzeugt. Gravelli ist der Mann, oder wenigstens einer von denen, die Hand in Hand mit den Korsaren arbeiten. Endlich einmal eine Spur, nach der wir so lange schon gesucht haben; denn als Beweis ist dieses Schreiben nicht zu verwerten. Endlich! Ich werde mich dem Mann an die Spur heften. Nochmals, Andrea, hilf dabei! Es geht um Hohes, um den Kampf gegen die Unmenschlichkeit der Sklaverei und darum, frei zu werden von fremder Unterdrückung und Bevor-mundung. Gravelli wird fallen, davon kannst du schon in diesem Augenblick überzeugt sein!«
»Verfüge über mich, Giacomo. Verfüge über meine Mittel.«
»Ich danke dir. Wenn ich etwas brauche, werde ich mich nicht scheuen, dich darum anzugehen. – Und Sie, Herr de Vermont? Es tut mir leid, daß Sie als Ausländer in eine solche Sache verwickelt wurden; manches Ge-sagte betraf Frankreich. Ich hoffe, mich nicht zu täuschen, wenn ich annehme, daß Sie mich als Italiener verstehen werden. Sie werden sich als Franzose ebenso dagegen wehren, als unmündig betrachtet und wie ein Kind in allem geführt
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