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Untitled

Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Bessing
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als seine sogenannte Street Art – bloß eben andersherum. Damals war gerade der Banksy Film angelaufen und Street Art war das große Ding. Alkohol war mit im Spiel an diesem Abend, aber mein Glücksgefühl rührte von den anerkennenden Worten Andrés, dieses Künstlers, den ich verehrte. Dass er meine Beschäftigung mit Julia in jeglichen Aspekten als Kunst begreifen wollte, nicht als Manie, tat mir wohl. Später fragte er mich nach dem Ballon. Ob man da rankommen könnte? Wie der nachts abgesichert sei et cetera. Das hatte ich mich seltsamerweise noch nie gefragt. Wahrscheinlich, weil der Schriftzug auf der Ballonhaut kein J enthielt (so wie es auch Städte gegeben hatte, die mir uninteressant erschienen waren, weil die Landessprache beinahe ohne J auskam – Mailand zum Beispiel; ganz anders Beijing: Das Schriftzeichen für Wasser, enthalten auch in Suppe und Saft, sieht aus wie ein J, das mit einem K Rücken an Rücken zusammengeschmolzen war – in Beijing habe ich mehrere Hundert Aufnahmen gemacht). Jedenfalls wollten wir in dieser Nacht nach dem Kronengrill lediglich die Lage rings des vertäuten Ballons erkunden. Am nächsten Morgen stieg ein dem Verlagshaus zugewandtes grellrosafarbenes Grinsekatzengesicht mit Zwinkerauge bis auf die Höhe der Chefredaktionsebene in den Julihimmel über Berlin. Das Entziffern von Worten entlang des Verlaufs zusammenhängender Sätze erzeugt den trügerischen Eindruck, das Erinnern funktioniere ebenso und schrifthaft zusammenhängend, von links nach rechts strukturiert. Dabei hat die Erinnerung keinen zentralen Ort, es gibt keinen Vorführungssaal im Bewusstsein, in dem diese Erinnerungsstreifen durch einen Projektor schnurren, worauf ich dann eine Wiederaufführung meiner Erlebnisse erführe. (All dies war mir zeitgleich und auf einmal eingefallen.)

    Der Signalton für die eintreffende Nachricht in meiner Hosentasche war noch nicht einmal verklungen, da beantwortete ich die Frage des Rechtsanwaltes mit: Ja, kenne ich. Es war von beträchtlichem Ansehensverlust für das Verlagshaus die Rede, von einem Sachschaden, von Vertrauensbruch. Ich hatte kollaboriert; einen Imageträger des Hauses sabotiert, der Lächerlichkeit preisgegeben. Es fielen die Begriffe Korruption, Missbrauch des Hausausweises, Verstoß und Statuten. Der gesamte Hergang der sogenannten Tat lag dem Sandfarbenen in einer minutiösen Auflistung vor, die er mir mit einer Unermüdlichkeit vorlas, so als hörte ich all dies zum ersten Mal, dabei war ich doch im Gegensatz zu ihm damals dabei gewesen.
    Die Nachricht von Julia, die ich währenddessen entzifferte, bezog sich auf meinen Kommentar auf Instagram von heute Nacht, in der ich ihr geschrieben hatte, was für ein wunderschöner Mensch sie doch sei. Ihre soeben eingetroffene Antwort war kurz. Sie schrieb: Das bist doch du!
    Wie schön! Als ich bemerkte, dass der Chefredakteur sich irritiert davon zeigte, dass ich während des Vortrages des Sandfarbenen meine Nachrichten las, war mir das peinlich. Ich nahm an, dass ihm mein Verhalten als aufgesetzt erscheinen musste, aber ich konnte einfach den Punkt nicht erkennen, um den es hier gerade ging. Als der Chefredakteur selbst das Wort ergriff, um mir die fristlose Kündigung auszusprechen, drang das noch nicht an mich heran. Ich hörte das, ich verstand die Worte und deren Sinn – aber dieser Sinn hatte nichts mit mir zu tun. Das ging jemanden an, der ebenfalls auf meinen Namen hörte, aber ich war das nicht. Als der Chefredakteur meinem Namensvetter die Tür aufhielt, stand ich auch auf. Ich hielt den Bogen Verlagsbriefpapier mitsamt seiner Klarsichthülle in der Hand, den mir der Sandfarbene zugeschobenhatte. Das Schreiben besagte, dass der Namensvetter mit sofortiger Wirkung von seiner Anwesenheitspflicht an seinem Arbeitsplatz befreit worden war. Als ich den verglasten Sicherheitsbereich der Chefredaktion verlassen hatte, erschien eine blaue Blase auf dem Display des iPhones, die besagte, dass der Namensvetter keinen Zugang mehr hatte zum Mailserver des Verlagshauses. Das ging ja schnell. Ich überlegte noch, bei meinen Leuten einen Zwischenstopp einzulegen, drückte dann aber auf Erdgeschoss.

Die böse Kirche
    Am Tag zuvor hatte im App Store der Vertrieb von Instagram begonnen. Innerhalb eines kompakten Für und Widers konnte ich Julia davon überzeugen, dass dies bis auf Weiteres unser Medium werden müsste. Sie forderte nicht gar so viele Argumente wie sonst – vielleicht wirkte sich das feuchte Klima

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