Urlaub fuer rote Engel
Kunden. Und als sich die biederen
Dorfbewohner über die Randale empörten, ließ er einen fast vier Meter hohen Bretterzaun drum herum aufstellen. Da griff die
Baubehörde ein. Mich dagegen grüßen die Leute im Dorf heute freundlich ›Guten Tag, Frau Heidi‹. Aber glücklich bin ich nicht
im Osten. Zum Beispiel sind die Lebensmittel zwar teurer als im Westen, aber keine Qualität. Gehacktes immer nur mit Knoblauch.
›Die Leute in Thüringen wollen das so‹, sagt der Metzger. Und beim Bäcker sind die Amerikaner eben nicht locker und gelb wie
im Westen. Und ringsum außer Natur tote Hose. Da kriegste kein Mädchen aus dem Westen, das hier arbeitet.«
»Und Nachwuchs aus dem Osten?«
»Ich sag’s mal brutal: Die Ostmädchen bumsen lieber für ’ne Cola und ’nen Wodka auf der Disco, nur so aus Spaß, als dass sie
sich hier für ordentliche Arbeit ordentliches Geld verdienen.«
Ich habe den Fehler gemacht, wegen der Hitze meine Socken auszuziehen. Der Kampfhund zerrt sie nun umher. Ramona verschwindet
mit einem Stück Kuchen in der Hand zu einem Kunden.
Schwierigkeiten gäbe es auch mit manchen Behörden im Osten. »Die arbeiten bei unsereinem noch besonders genau, befolgen ängstlich
jeden Buchstaben. Im Westen entscheiden die Beamten souveräner, die wissen, wo sie ein Auge zudrücken und Spielraum lassen
können.«
Zuerst wollte sie im Salon des Hauses einen Singleclub eröffnen, da verlangte die Behörde einen Drei-Kammer-Abwasserkanal.
Sie beantragte ihn, erhielt aber in zwei Jahren weder eine Absage noch eine Zustimmung. Auch für ein Spielcasino keine Genehmigung.
»Doch danach fragen die Verpächter nicht, die wollen monatlich ihre Knete. Jetzt beantrage ich eine Geschäftserlaubnis für
einen Erotik-Shop.«
Unterbrechung durch ein langes Telefongespräch mit einem alten Bekannten. Sie fragt, ob er sich nicht beteiligen wolle, sie
hätte die Chance, in einer Thüringer Großstadt ein Haus zu mieten und ein Dirnenhaus einzurichten. 150.000 DM brauche sie
noch. Er macht ihr Hoffnungen.
Vorerst, erklärt mir die Chefin kategorisch, mache sie nur noch gemeinsame Geschäfte mit Leuten aus den alten Bundesländern.
»Ich hatte einen jungen sympathischen Fuhrunternehmer aus Meiningen kennengelernt, der war Stammkunde im Haus, und der bat
mich, ihm für kurze Zeit finanziell zu helfen. Ich habe ihm also ein Büro einrichten lassen, einen Kredit gegeben … Und kurze
Zeit danach verschwindet der immer so treuguckende, hilfsbedürftige, dynamische ostdeutsche Jungunternehmer spurlos mit meinem letzten Westmädchen. Dafür stehen seine
Kraftfahrer vor der Tür und verlangen von mir ihren seit Monaten ausstehenden Lohn … Ohne Rechtsanwalt kannste hier keinen
Schritt auf die Straße gehen.«
Aber entmutigt ist Heidi F. nach drei Jahren Anschaffen im Osten noch nicht. Sie nennt es lächelnd: »Anfangsschwierigkeit
eines bislang in dieser Gegend unbekannten Gewerbes. Wenn ich das große Dirnenhaus einrichten kann, werde ich auch die kleine
Villa nicht aufgeben müssen. Hier, wo die Leute im Dorf freundlich ›Frau Heidi‹ zu mir sagen.«
Ramona kommt frisch geduscht zurück. Spült unaufgefordert das Geschirr. Irgendwann krieche ich mit ihr unter den Betten herum
und suche meine Socken.
Nebenan »Zum letzten Heller«
In der größten Mittagshitze des zwölften Julitages steige ich aus dem Schatten der sich kreuz und quer aneinanderlehnenden
Fachwerkhäuschen des schmalen Steinbachgrundes hinauf zum sonnenüberfluteten Berg, auf dem die große Kirche des 1.500-Seelen-Dorfes
steht. Von oben ist deutlich zu sehen, dass sich genau wie die Häusermauern auch die roten Ziegeldächer berühren, einander
überlappen, und manchmal beschirmt ein Dach einträchtig zwei Häuser. Die Kirche steht allein. Sie ist eingerüstet, ein Schutznetz
hängt vor den Wänden. Drei Männer in Arbeitszeug suchen im Vorraum der Kirche nach Kühle, ich suche den Pfarrer. In der Kirche
finde ich ihn nicht und stakse die Treppen wieder hinunter zum Pfarrhaus. Eine Frau steht unten und ruft: »Sind die Männer
noch oben an der Kirche?«
Ich schreie: »Ja.«
Und sie ruft: »Bei dieser Hitze, das ist unmöglich … Mittagspause!«
Und ich schreie hinunter: »Können Sie mir sagen, wo ich den Herrn Pfarrer finde?«
Und sie ruft herauf: »Ich bin die Pfarrerin von Steinbach.«
An ihrer Haustür entschuldige ich mich, dass ich unangemeldet komme, und bitte um eine Stunde für
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