Vaterland
wußte das und spielte damit. Er erinnert e sich an jenen ersten Abend in der Kne i pe, als er sie zusammen sah: wie sie seine zurückha l tende Hand abg e schüttelt hatte.
Heute: wie sie März, angesehen hatte, als er sah, wie er sie küßte; wie er ihre Launen hinnahm und sie mit seinen verträumten Auge n ansah. In Zürich ihr Flüstern: »Du hast mich gefragt, ob er mein Liebhaber ist ... Er wäre es gerne gewesen...«
Und nun auf ihrer Türschwelle in seinem Regenmantel: er zögerte, er war unsicher, es widerstrebte ihm, sie g e meinsam zurückzulassen,
aber dann verschwand er endlich in der Nacht.
Er würde morgen da sein, um Luther zu treffen, dachte März, und wenn auch nur, um sich zu vergewissern, daß sie in Sicherheit ist.
Nachdem der Amerikaner gegangen war, lagen sie Seite an Seite auf ihrem schmalen Bett. Lange Zeit sprach ke i ner. Die Straßenlampen warfen lange Schatten, der Fenste r rahmen lag wie ein Zellengitter quer über der Decke. In der leichten Brise zitterten die Vorhänge.
Einmal gab es Geräusche von Rufen und zuknallenden Autotüren - Bummler, die vom Feuerwerk zurückkamen.
Sie hörten zu , wie die Stimmen auf der Straße verkla n gen, dann flüsterte März: »Gestern abend am Telefon hast du gesagt, daß d u etwas herausgefunden hast«
Sie berührte seine Hand und stieg vom Bett. Er konnte hören, wie sie im Wohnzimmer zwischen den Papierst a peln herumsuchte.
Eine halbe Minute später kam sie zurück mit einem mächtigen Bildband. »Ich hab das auf dem Weg vom Flu g hafen her gekauft.«
Sie saß auf dem Rand des Bettes, schaltete die Lampe ein, wendete die Seiten um. »Da.« Sie gab März das aufg e schlagene Buch.
Es war eine Schwarzweiß-Reproduktion des Gemäldes in dem Schweizer Bankfach. Die Einfarbigkeit wurde ihm nicht gerecht.
Er hielt die Seite fest und schloß das Buch, um den Titel zu lesen.
Die Kunst Leonardo da Vincis von Professor Arno Braun vom Kaiser-Wilhelm-Museum in Berlin.
»Mein Gott.«
»Ich weiß. Ich habe geglaubt, ich hätte es wiedererkannt. Lies mal.«
Die Dame mit dem Hermelin nannte der Gelehrte es. »Eine der rätselhaftesten Arbeiten Leonardos.« Man nehme an, daß es etwa u m 1483 bis 1486 gemalt worden sei und »vermutlich C e cilia Gallerani zeigt, die junge Geliebte von Lodovico Sforza, dem Herrsche r von Mailand«. Dafür gebe es zwei veröffentlichte Hinweise: den einen in einem G e dicht von Bernardino Belli n cioni (gestorben (1492) ; der andere eine zweideutige Bemerkung über ein »u n fertiges« Porträt in einem Brief von Cecilia Gallerani selbst, g e schrieben im Jahr e 1498. »Doch stellt für den Erforscher Leonardos das wirkliche Geheimnis heute der Aufenthalt s ort des Gemä l des dar.
Es ist bekannt, daß es im späten 18. Jahrhundert in die Sammlung des polnischen Fürsten Adam Czartoryski g e langte und in Kraka u 1932 fotografiert wurde. Seither ist es in dem ve r schwunden, was Karl von Clausewitz so beredt >die Nebel des Krieges< genannt hat.
Alle Bemühungen der Reichsbehörden, es aufzuspüren, sind bisher gescheitert, und jetzt muß befürchtet werden, daß dies e unschätzbare Blüte der italienischen Renaissance der Menschheit für immer verloren ist.«
Er schloß das Buch. »Mir scheint, noch eine Geschichte für dich.«
»Und auch noch eine gute. Auf der ganzen Welt gibt es nur 9 unumstrittene Leonardos.« Sie lächelte. »Wenn ich jemals hie r herauskomme, um sie zu schreiben.«
»Mach dir da keine Sorgen. Wir werden dich schon rausbekominen.«
Er legte sich zurück und schloß die Augen. Nach einigen Augenblicken hörte er, wie sie das Buch niederlegte, und dann kam sie zu ih m aufs Bett und schmiegte sich eng an.
»Und du?« atmete sie ihm ins Ohr. »Willst du mit mir rauskommen?«
»Wir können jetzt nicht darüber reden. Nicht hier.«
»Tut mir leid. Hatte ich vergessen.« Ihre Zungenspitze berührte sein Ohr.
Ein Schlag, wie Strom.
Ihre Hand lag leicht auf seinem Bein. Mit ihren Fingern fuhr sie die Innenseite seiner Schenkel entlang. Er begann etwas zu murmeln,
aber wie schon einmal in Zürich legte sie ihm einen Fi n ger auf die Lippen.
»Das Ziel des Spieles ist: keine Geräusche machen.«
Später, als er selbst nicht schlafen konnte, lauschte er auf sie: das leise Seufzen ihres Atmens, ein gelegentliches Gemurmel - sehr wei t weg und undeutlich. In ihren Trä u men drehte sie sich stöhnend zu ihm um. Ihr Arm flog über das Kissen und schützte ihr Ge sicht. Si e schien eine priv a te
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