Vatermord und andere Familienvergnuegen
vor sich hin rottete wie der Kiel eines alten Boots. Nachdem sie das Abendessen zubereitet hatte, fragte sie: »Wie könnt ihr bloß so leben? Ihr seid Schweine. Ich arbeite für Schweine«, und Dad konterte: »Hast du uns deswegen diesen Schweinefraß gekocht?« Sie war stinksauer, aber aus Gründen, die sich mir nie ganz erschlossen (es gibt schließlich andere Arbeitsmöglichkeiten), kam sie Woche für Woche wieder, jedes Mal mit derselben aggressiven Missbilligung und einer Miene, als habe sie gerade einen Korb voll Zitronen ausgelutscht. Sie kam rein, riss die Vorhänge auf und schüttete Licht in unser Loch von Wohnung, und während sie über Dads Bibliotheksbücher stieg, die den Boden bedeckten, sah sie mich prüfend an, als sei ich ein Gefangener, den es zu befreien galt.
Zuerst kam Anouk montags und freitags für ein paar Stunden, aber nach und nach wurde die Routine aufgegeben, und sie kreuzte einfach auf, wann sie gerade Lust hatte, nicht nur, um zu kochen und aufzuräumen, sondern auch, um zu essen und Unordnung zu machen. Sie aß regelmäßig mit uns, stritt sich unentwegt mit uns herum und machte mich mit einem Menschenschlag bekannt, dem ich vorher nie begegnet war: die linksgerichtete, Kunstliebende, eigener Einschätzung zufolge »spirituelle Persönlichkeit«, die ihre sanftmütigen Vorstellungen von Frieden, Liebe und Natur verbreitete, indem sie einen ankreischte.
»Weißt du, was dein Problem ist, Martin?«, fragte sie Dad eines Abends nach dem Essen. »Du ziehst Bücher dem Leben vor. Ich finde, Bücher sollten kein Ersatz für das Leben sein, weißt du? Sie sind mehr als Ergänzung gedacht.« »Was weißt du denn schon?«
»Ich erkenne zum Beispiel, wenn ich jemanden vor mir habe, der nicht weiß, wie man lebt.« »Und du weißt es?« »Ich hab ein paar Ideen.«
Sie sah in Dad und mir Probleme, die gelöst werden mussten, und ihr erster Schritt bestand darin, uns zu Vegetariern zu machen, indem sie mit Bildern von gequälten, brüllenden Tieren vor unserer Nase herumwedelte, wenn wir uns gerade über ein saftiges Steak hermachten. Als dies keine Wirkung zeigte, begann sie, uns Sojafleisch unterzujubeln. Aber es waren nicht nur unsere Ernährungsgewohnheiten, die sie anging. Wie eine wilde Kriegerin tischte sie uns alle möglichen Formen von Spiritualität auf: Kunsttherapie, Rebirthing, therapeutische Massage, Öle mit seltsamem Geruch. Sie empfahl uns, zur Auramassage zu gehen. Sie zerrte uns zurecht in unbekannte Theaterstücke, unter anderem in eins, in dem die Schauspieler die ganze Aufführung über mit dem Rücken zum Publikum standen. Es war, als habe eine Irre den Schlüssel zu unseren Gehirnen und stopfe sie jetzt voll mit Krempel wie Kristallen und Windspielen und einem Handzettel nach dem anderen, die für Vorträge von allen möglichen mystischen, linken, levitierenden Gucci-Gurus warben. Sie fing auch an, an unserer Lebensweise herumzukritteln.
Woche für Woche inspizierte sie ein neues Eckchen unserer muffigen Existenz und teilte uns dann ihr Urteil mit. Der Daumen wies nie nach oben. Der Daumen zeigte immer zur Gosse hin. Nachdem sie herausgefunden hatte, dass Dad ein Striplokal managte, wurden ihre Inspektionen schonungsloser, sie begann außen und arbeitete sich nach innen vor. Sie kritisierte unsere Angewohnheit, uns am Telefon gegenseitig zu imitieren, und dass wir, wenn es an der Tür klopfte, beide vor Angst erstarrten, als lebten wir unter einem totalitären Regime und gäben eine verbotene Zeitung heraus. Sie wies darauf hin, dass es an Irrsinn grenzte, wenn wir hausten wie Kunststudenten, während Dad einen teuren Sportwagen fuhr; sie machte Dad nieder, weil er seine Bücher küsste und nicht mich, und dass er mich wochenlang nicht zur Kenntnis nahm und mich dann wieder wochenlang keine Minute in Ruhe ließ. Sie nahm alles auseinander: wie krumm Dad auf seinem Stuhl hing, dass er eine Stunde lang die Vor- und Nachteile, eine Dusche zu nehmen, gegeneinander abwägte, seinen soziopathischen Kleidungsstil (Anouk fiel als Erster auf, dass Dad seinen Schlafanzug unter dem Anzug trug), wie er sich so schlampig rasierte, dass immer einzelne Haarbüschel zurückblieben, die an beliebigen Stellen seines Gesichts sprossen.
Vielleicht war es ihr eisiger Tonfall, aber Dad starrte nur grämlich in seinen Kaffee, wenn sie ihren neuesten vernichtenden Inspektionsbericht bekanntgab. Aber was ihn am meisten verunsicherte, war ihre Kritik an seiner Kritiksucht; das warf ihn völlig
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