Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
Vom Netzwerk:
Petrowitschs Sie nicht kränkt, und zweitens Dunja, wenn auch sie sich nicht gekränkt fühlt. Ich aber will so handeln, wie es für Sie am besten ist«, fügte er trocken hinzu.
    »Dunjetschka hat sich schon entschlossen, und ich bin mit ihr vollkommen einverstanden«, beeilte sich Pulcheria Alexandrowna zu erklären.
    »Ich habe mich entschlossen, dich, Rodja, inständig zu bitten, unbedingt dieser Zusammenkunft beizuwohnen«, sagte Dunja. »Wirst du kommen?«
    »Ich werde kommen.«
    »Ich möchte auch Sie bitten, um acht Uhr bei uns zu sein«, wandte sie sich an Rasumichin. »Mamachen, ich lade auch ihn ein.«
    »Sehr schön, Dunjetschka. Nun, wie ihr beschlossen habt,« fügte Pulcheria Alexandrowna hinzu, »so soll es auch sein. Für mich ist es so leichter; ich liebe nicht, mich zu verstellen und zu lügen; wollen wir lieber die ganze Wahrheit sagen ... Mag Pjotr Petrowitsch jetzt böse werden oder nicht!«
     

IV
     
    In diesem Augenblick ging die Tür leise auf, und ins Zimmer trat, scheu um sich blickend, ein junges Mädchen. Alle wandten sich erstaunt und neugierig zu ihr um. Raskolnikow hatte sie auf den ersten Blick nicht erkannt. Es war Ssonja Ssemjonowna Marmeladowa. Gestern hatte er sie zum erstenmal gesehen, doch in einem solchen Augenblick, in solcher Umgebung und in einem solchen Aufzuge, daß in seiner Erinnerung ein ganz anderes Bild geblieben war. Jetzt war es ein bescheiden und sogar ärmlich gekleidetes Mädchen, noch sehr jung, fast einem Kinde ähnlich, mit bescheidenen, anständigen Manieren und mit einem heiteren, doch anscheinend verängstigten Gesicht. Sie trug ein sehr einfaches Hauskleidchen und einen alten, altmodischen Hut; nur in den Händen hatte sie noch den gestrigen Sonnenschirm. Als sie unerwartet ein Zimmer voller Menschen vor sich sah, wurde sie nicht nur verlegen, sondern verlor ganz die Fassung, wurde scheu wie ein kleines Kind und machte sogar eine Bewegung, um gleich wieder wegzugehen.
    »Ach ... Sie sind es? ...« sagte Raskolnikow außerordentlich erstaunt und wurde auch selbst verlegen.
    Er mußte sofort daran denken, daß seine Mutter und Schwester aus dem Briefe Luschins schon etwas von einem gewissen Mädchen mit einem »verrufenen« Lebenswandel wußten. Eben erst hatte er gegen die Verleumdung Luschins protestiert und erwähnt, daß er dieses Mädchen zum erstenmal in seinem Leben gesehen habe, und da kommt sie plötzlich selbst. Er erinnerte sich auch, daß er gegen den Ausdruck »mit einem verrufenen Lebenswandel« durchaus nicht protestiert hatte. Dies alles ging ihm plötzlich verworren und flüchtig durch den Kopf. Als er aber genauer hinsah, merkte er plötzlich, wie sehr dieses erniedrigte Geschöpf erniedrigt war, und er spürte Mitleid. Als sie aber die Bewegung machte, um vor Angst davonzulaufen, – drehte sich in ihm etwas um.
    »Ich habe Sie gar nicht erwartet«, sagte er hastig und hielt sie mit einem Blicke zurück. »Ich bitte sehr, nehmen Sie Platz. Sie kommen wahrscheinlich von Katerina Iwanowna. Ich bitte, nicht hier, setzen Sie sich dorthin ...«
    Bei Ssonjas Erscheinen erhob sich Rasumichin, der auf dem einen der drei Stühle Raskolnikows, dicht bei der Tür, gesessen hatte, um sie durchzulassen. Raskolnikow wies ihr erst den Platz in der Sofaecke an, wo Sossimow gesessen hatte, besann sich aber darauf, daß dieser Platz doch zu »familiär« war und ihm zum Schlafen diente, und beeilte sich darum, ihr den Stuhl neben Rasumichin anzubieten.
    »Und du, setze dich hierher«, sagte er zu Rasumichin, ihm die Sofaecke zeigend, wo Sossimow gesessen hatte.
    Ssonja setzte sich, vor Angst beinahe zitternd, und blickte die beiden Damen scheu an. Es war ihr anzusehen, daß sie es selbst nicht begreifen konnte, wie sie neben ihnen sitzen sollte. Als sie dies einsah, erschrak sie dermaßen, daß sie plötzlich aufstand und sich völlig verwirrt an Raskolnikow wandte.
    »Ich ... ich ... ich bin nur für einen Augenblick gekommen, entschuldigen Sie die Störung«, begann sie stotternd. »Ich komme von Katerina Iwanowna, sie hatte sonst niemand zu schicken ... Katerina Iwanowna läßt Sie bitten, morgen zur Totenmesse zu kommen ... gleich nach dem Morgengottesdienst ... auf den Mitrofanjewschen Friedhof, und dann zu uns ... zu ihr ... zum Essen ... ihr die Ehre zu erweisen ... Sie läßt Sie bitten.«
    Ssonja stockte und verstummte.
    »Ich werde mir die Mühe geben ... unbedingt«, antwortete Raskolnikow, der aufgestanden war, gleich ihr stotternd und die

Weitere Kostenlose Bücher