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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Sätze nicht zu Ende sprechend. »Tun Sie mir den Gefallen, setzen Sie sich bitte,« sagte er plötzlich, »ich muß mit Ihnen sprechen. Ich bitte Sie, Sie haben vielleicht Eile, tun Sie mir den Gefallen, schenken Sie mir zwei Minuten ...«
    Er schob ihr einen Stuhl hin. Ssonja setzte sich, streifte die beiden Damen mit einem schüchternen und fassungslosen Blick und schlug plötzlich die Augen nieder.
    Das blasse Gesicht Raskolnikows erglühte; er fuhr zusammen, seine Augen funkelten.
    »Mamachen,« sagte er fest und bestimmt, »das ist Ssofja Ssemjonowna Marmeladowa, die Tochter jenes unglücklichen Herrn Marmeladow, der gestern vor meinen Augen überfahren wurde und von dem ich schon erzählt habe ...«
    Pulcheria Alexandrowna blickte Ssonja an und kniff ein wenig die Augen zusammen. Wie verlegen sie sich auch unter dem durchdringenden und herausfordernden Blicke Rodjas fühlte, konnte sie sich dieses Vergnügen doch nicht versagen. Dunjetschka blickte ernst und unverwandt dem armen Mädchen ins Gesicht und betrachtete es etwas verblüfft. Als Ssonja die Empfehlung hörte, hob sie die Augen wieder, wurde aber noch mehr verlegen.
    »Ich wollte Sie fragen,« wandte sich Raskolnikow schnell an sie, »wie hat sich bei Ihnen heute alles gemacht? Hat man Sie nicht belästigt? ... Zum Beispiel seitens der Polizei?«
    »Nein, es ist schon alles vorüber ... Die Todesursache ist doch allzu klar; man hat uns nicht belästigt; aber die anderen Mieter sind böse.«
    »Warum denn?«
    »Weil die Leiche so lange in der Wohnung liegt ... jetzt ist es ja heiß ... es riecht ... so wird man heute die Leiche um die Zeit der Abendmesse auf den Friedhof bringen, in die Kapelle, bis morgen. Katerina Iwanowna wollte es zuerst nicht, aber jetzt sieht sie selbst, daß es nicht anders geht ...«
    »Also heute?«
    »Sie bittet Sie, uns die Ehre zu erweisen und morgen zur Aussegnung in die Kirche zu kommen, und dann zu ihr zum Totenmahl.«
    »Sie macht auch ein Totenmahl?«
    »Ja, nur einen Imbiß; sie läßt Ihnen danken, daß Sie uns gestern geholfen haben ... ohne Sie hätten wir nichts, um ihn zu beerdigen ...«
    Ihre Lippen und ihr Kinn begannen plötzlich zu zucken, sie beherrschte sich aber, nahm sich zusammen und schlug wieder die Augen nieder.
    Während des Gesprächs hatte Raskolnikow sie unverwandt betrachtet. Es war ein mageres, auffallend mageres und bleiches Gesichtchen mit ziemlich unregelmäßigen zugespitzten Zügen, mit einer spitzen kleinen Nase und ebensolchem Kinn. Man konnte sie nicht mal niedlich nennen, dafür waren aber ihre blauen Augen so heiter, und der Gesichtsausdruck wurde, wenn sich diese Augen belebten, so gut und treuherzig, daß jeder sich von ihr unwillkürlich angezogen fühlte. In ihrem Gesicht und in ihrer ganzen Figur war außerdem noch ein besonders charakteristischer Zug: trotz ihrer achtzehn Jahre sah sie viel jünger aus, als sie war, fast wie ein kleines Mädchen, und dies zeigte sich zuweilen sogar recht komisch in einigen ihrer Bewegungen.
    »Konnte sich denn Katerina Iwanowna mit so wenig Mitteln behelfen? Und sie hat auch noch die Absicht, einen Imbiß zu geben?« fragte Raskolnikow, das Gespräch hartnäckig fortsetzend.
    »Der Sarg wird doch einfach sein ... und alles wird einfach sein, so daß es nicht teuer kommt ... Wir haben vorhin mit Katerina Iwanowna alles ausgerechnet, und es bleibt noch so viel übrig, um ein Totenmahl zu geben ... denn Katerina Iwanowna möchte es so gerne. Es geht wirklich nicht anders ... für sie ist es ein Trost ... sie ist so, Sie wissen ja ...«
    »Ich verstehe, ich verstehe ... Gewiß ... Was betrachten Sie so mein Zimmer? Mamachen sagt auch, daß es wie ein Sarg aussieht.«
    »Sie haben uns gestern alles hergegeben!« sagte Ssonjetschka darauf hastig, mit einer eigentümlich lauten Flüsterstimme und wurde wieder sehr verlegen.
    Ihre Lippen und ihr Kinn zuckten wieder. Sie war schon längst über die ärmliche Wohnung Raskolnikows überrascht, und diese Worte entschlüpften ihr jetzt ganz von selbst. Es trat Schweigen ein. Die Augen Dunjetschkas erhellten sich, und Pulcheria Alexandrowna blickte Ssonja sogar freundlich an.
    »Rodja,« sagte sie aufstehend, »wir essen selbstverständlich zusammen zu Mittag. Komm, Dunjetschka ... Und du, Rodja, solltest etwas spazieren gehen, dann dich ausruhen und etwas liegen, und dann komm schnell zu uns ... Ich fürchte, wir haben dich ermüdet ...«
    »Ja, ja, ich werde kommen«, antwortete er eilig, sich erhebend.

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