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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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bemerkte ihn Ssonja. Sie stieg in den zweiten Stock hinauf, bog in den Gang ein und läutete auf Nr. 9, auf dessen Tür mit Kreide geschrieben stand: »Kapernaumow, Schneider.« – »Ach!« wiederholte der Unbekannte, über das seltsame Zusammentreffen erstaunt, und läutete nebenan auf Nr. 8. Beide Türen waren kaum sechs Schritte voneinander entfernt.
    »Sie wohnen also bei Kapernaumow!« sagte er, Ssonja anblickend und lachend. »Er hat mir gestern eine Weste umgenäht. Ich wohne aber hier gleich neben Ihnen, bei Madame Gertrude Karlowna Rößlich. Wie sich das trifft!«
    Ssonja sah ihn aufmerksam an.
    »Wir sind also Nachbarn«, fuhr er auffallend lustig fort: »Ich bin ja erst seit drei Tagen in Petersburg. Nun, vorerst auf Wiedersehen!«
    Ssonja gab keine Antwort; man machte ihr die Tür auf, und sie schlüpfte zu sich hinein. Sie fühlte sich irgendwie beschämt und hatte Angst ...
     
    * * *
     
    Rasumichin war auf dem Wege zu Porfirij besonders aufgeregt.
    »Das ist ausgezeichnet, Bruder,« sagte er einigemal, »und ich freue mich! Ich freue mich!«
    – Worüber freust du dich denn? – dachte Raskolnikow.
    »Ich wußte ja gar nicht, daß auch du bei der Alten zu versetzen pflegtest. Und ... und ... ist es schon lange her? Das heißt, ist es lange her, daß du bei ihr warst?«
    – Dieser naive Dummkopf! –
    »Wann es war? ...« Raskolnikow blieb stehen, als besinne er sich. »Ja, ich glaube, ich war bei ihr drei Tage vor ihrem Tode. Übrigens will ich jetzt die Sachen gar nicht auslösen«, fügte er hinzu: plötzlich schien er wegen seiner Sachen sehr besorgt. »Ich habe ja nur noch einen Rubel Kleingeld ... wegen des gestrigen verfluchten Fiebers! ...«
    Das Fieber erwähnte er mit besonderem Nachdruck.
    »Na ja, na ja«, bestätigte Rasumichin eilig, man wußte nicht, was. »Darum hat dich das also damals so erschüttert ... weißt du, du hast auch während der Krankheit immer von irgendwelchen Ringen und Ketten phantasiert! ... Nun ja ... Es ist klar, jetzt ist alles klar.«
    – So ist es also! Wie dieser Gedanke sie alle angesteckt hat! Dieser Mensch wird sich für mich kreuzigen lassen, und doch ist er so froh, daß es sich nun aufgeklärt hat, warum ich von den Ringen phantasiert habe! Wie sich das bei ihnen festgesetzt hat ... –
    »Werden wir ihn auch antreffen?« fragte er laut.
    »Ganz sicher!« antwortete Rasumichin eilig. »Er ist ein Prachtkerl, du wirst es sehen, Bruder! Etwas plump, das heißt, er ist sogar ein Gesellschaftsmensch, aber ich meine plump in einem anderen Sinne. Ein kluger, sehr kluger, sogar gar nicht dummer Bursche, hat aber eine eigene Art zu denken ... Mißtrauisch, skeptisch, zynisch ... betrügt gerne, das heißt er betrügt nicht, sondern hält einen zum Narren ... Nun, die alte materialistische Methode ... Seine Sache versteht er ausgezeichnet ... Er hat im vorigen Jahr einen Fall – es war auch ein Mord – aufgeklärt, wo fast alle Spuren verwischt waren. Er will dich sehr, sehr gerne kennen lernen!«
    »Ja warum denn?«
    »Das heißt, ich will nicht gesagt haben, daß ... Siehst du, in der letzten Zeit, als du erkranktest, hatte ich oft und viel Gelegenheit, von dir zu sprechen ... Nun, er hörte mir zu, und als er erfuhr, daß du Jurist bist und das Studium aus privaten Gründen nicht beenden kannst, sagte er: ›Wie schade!‹ Nun, und ich schloß daraus ... das heißt, alles zusammen, nicht bloß das ... auch Samjotow gestern ... Siehst du, Rodja, ich hab' dir gestern im Rausche, als wir nach Hause gingen, etwas vorgeschwatzt ... Nun fürchte ich, daß du es irgendwie übertreiben könntest, siehst du ...«
    »Was denn? Daß man mich für verrückt hält? Vielleicht ist es auch wirklich wahr.«
    Er lächelte gezwungen.
    »Ja, ja ... das heißt, pfui, nein! ... Also alles, was ich sagte ... (und auch alles andere) ist dummes Geschwätz, und ich habe es nur im Rausche gesagt.«
    »Was entschuldigst du dich! Wie mich das alles anödet!« schrie Raskolnikow übertrieben gereizt.
    Übrigens war es zum Teil Verstellung.
    »Ich weiß, ich weiß, ich verstehe. Du kannst überzeugt sein, daß ich es verstehe. Ich schäme mich, davon zu sprechen ...«
    »Wenn du dich schämst, so sprich eben nicht!«
    Beide verstummten. Rasumichin war mehr als entzückt, und Raskolnikow fühlte es mit Ekel. Auch das, was Rasumichin eben über Porfirij gesagt hatte, machte ihm Sorgen.
    – Dem muß man auch etwas vorjammern – dachte er, erbleichend und klopfenden Herzens –, und

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