Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)
auf den Augenblick, um schneller und natürlicher zu enden. Rasumichin, der durch den Fall des Tischchens und das Unglück mit dem Teeglase ganz verwirrt war, blickte düster auf die Scherben, spuckte aus und wandte sich jäh nach dem Fenster, wo er sich mit dem Rücken gegen das Publikum mit furchtbar finsterem Gesicht hinpflanzte und, ohne etwas zu sehen, zum Fenster hinausschaute. Porfirij Petrowitsch lachte und wollte noch mehr lachen, wartete aber offenbar auf eine Erklärung. Samjotow, der auf einem Stuhl in der Ecke gesessen und sich beim Erscheinen der Gäste erhoben hatte, stand erwartungsvoll da, den Mund zu einem Lächeln verzogen, und betrachtete diese ganze Szene verständnislos und sogar mißtrauisch, Raskolnikow sogar mit einer gewissen Bestürzung. Die unerwartete Anwesenheit Samjotows berührte Raskolnikow unangenehm.
– Das muß ich noch besonders in Betracht ziehen! – dachte er.
»Entschuldigen Sie, bitte,« begann er sehr verlegen, »Raskolnikow ...«
»Aber ich bitte Sie, sehr angenehm, Sie kamen ja so angenehm herein ... Was, er will mich nicht mal begrüßen?« sagte Porfirij Petrowitsch und wies mit dem Kopf auf Rasumichin.
»Bei Gott, ich weiß nicht, warum er auf mich so wütend ist. Ich habe ihm unterwegs nur gesagt, daß er einem Romeo ähnlich sieht, und ... ich bewies es ihm auch, und sonst gab's, glaube ich, nichts.«
»Schwein!« versetzte, ohne sich umzuwenden, Rasumichin.
»Also hatte er wohl triftige Gründe, um wegen eines einzigen Wörtchens so böse zu werden«, bemerkte Porfirij lachend.
»Du! Untersuchungsrichter! ... Hol euch alle der Teufel!« platzte Rasumichin heraus. Plötzlich fing er selbst zu lachen an und ging mit lustigem Gesicht, als ob nichts geschehen wäre, auf Porfirij Petrowitsch zu.
»Schluß! Ihr seid alle Dummköpfe! Zur Sache: Das ist mein Freund Rodion Romanowitsch Raskolnikow; erstens hat er von dir viel gehört und will dich kennenlernen, und zweitens hat er ein kleines Anliegen an dich. Bah! Samjotow! Wie kommst du her? Seid ihr denn bekannt? Kennt ihr euch schon lange?«
– Nanu, was ist das? – fragte sich Raskolnikow unruhig.
Samjotow schien verlegen, doch nicht allzusehr.
»Wir haben uns ja gestern bei dir kennengelernt«, sagte er ungezwungen.
»Also hat mir Gott den Schaden erspart; in der vorigen Woche hat er mich bestürmt, daß ich ihn irgendwie mit dir, Porfirij, bekannt mache, und nun habt ihr auch ohne meine Hilfe die Nasen zusammengesteckt ... Wo hast du deinen Tabak?«
Porfirij Petrowitsch war in seinem Hausanzug: in einem Schlafrock, sehr sauberer Wäsche und abgetretenen Morgenschuhen. Er war ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, unter Mittelgröße, wohlbeleibt, sogar mit einem Bäuchlein, glattrasiert, ohne Schnurr- und Backenbart, mit kurzgeschorenem, großem, rundem Schädel, der hinten im Nacken besonders stark gewölbt war. Das etwas aufgedunsene, runde und stumpfnasige Gesicht war von einer ungesunden dunkelgelben Farbe, aber recht munter und sogar spöttisch. Es war sogar fast gutmütig, wäre nicht der Ausdruck der Augen mit dem wässerigen Glanz und den weißen, immer zuckenden, gleichsam jemand zuzwinkernden Wimpern gewesen. Der Blick dieser Augen harmonierte so gar nicht mit dieser ganzen Gestalt, die sogar etwas Weibisches an sich hatte, und verlieh ihr einen viel ernsteren Ausdruck, als man es von ihr beim ersten Anblick erwartete.
Als Porfirij Petrowitsch hörte, daß der Gast ein »kleines Anliegen« an ihn habe, forderte er ihn sofort auf, auf dem Sofa Platz zu nehmen, er setzte sich selbst in die andere Ecke des Sofas und blickte den Gast, in Erwartung, daß jener ihm die Angelegenheit sofort darlegen werde, mit jener gespannten und übertrieben ernsten Aufmerksamkeit an, die zum erstenmal unangenehm und verwirrend wirkt, besonders wenn man noch unbekannt ist, und noch mehr, wenn das, was man vorbringen möchte, nach eigener Ansicht des Gesuchstellers, in gar keinem Verhältnis zu der so großen Aufmerksamkeit steht, die man ihm erweist. Aber Raskolnikow erklärte seine Sache in wenigen zusammenhängenden Worten, klar und genau, und war auch mit sich selbst so zufrieden, daß er sogar Zeit fand, Porfirij genau zu mustern. Auch Porfirij Petrowitsch wandte seine Augen keinen Augenblick von ihm. Rasumichin, der sich ihnen gegenüber an denselben Tisch gesetzt hatte, verfolgte eifrig und ungeduldig die Darlegung der Sache und blickte abwechselnd bald den einen und bald den anderen an, was schon ein
Weitere Kostenlose Bücher