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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Hoffnung, noch mehr zu gewinnen (übrigens hätten sie auch längst eine Haussuchung abgehalten!). Aber sie haben gar keine Tatsachen, keine einzige, alles ist eine Fata Morgana, alles ist doppelsinnig, eine flüchtige Idee, darum bemühen sie sich, mich durch Frechheit wirr zu machen. Vielleicht ist er auch in Wut geraten, weil er keine Tatsachen hat, und hat sich in seinem Arger nicht beherrschen können. Vielleicht hat er aber auch irgendeine Absicht ... Er scheint ein kluger Mensch zu sein. Vielleicht wollte er mir nur damit Angst machen, daß er etwas wisse ... Es steckt eine eigene Psychologie darin, Bruder ... Übrigens ist es mir ekelhaft, dies alles zu erklären. Laß es!«
    »Und beleidigend! beleidigend! Ich verstehe dich! Aber ... da wir schon einmal deutlich darüber sprechen (und das ist ausgezeichnet, daß wir darüber endlich deutlich reden, ich bin so froh darüber!), so gestehe ich dir gleich, daß ich diesen Gedanken bei ihnen schon lange gemerkt habe, diese ganze Zeit über, natürlich in einer winzigen, in einer schleichenden Form; aber warum selbst in einer schleichenden? Wie unterstehen sie sich bloß? Wo wurzeln ihre Gründe? Wenn du wüßtest, wie wütend ich war! Wie! – Nur weil ein armer Student, durch Armut und Hypochondrie verkrüppelt, am Vorabend einer schrecklichen Krankheit mit Fieberphantasien, die vielleicht schon längst in ihm angefangen hatte (merk dir das!), argwöhnisch und eitel, der viel von sich hält und in seinem Loch seit sechs Monaten niemand gesehen hat, – in Lumpen und Stiefeln ohne Sohlen vor diesen Polizeischnüfflern steht und sich von ihnen beschimpfen läßt; dazu noch die unerwartete Schuld vor der Nase, der fällige Wechsel mit dem Hofrat Tschebarow, die stinkende Ölfarbe, dreißig Grad Reaumur, stickige Luft, ein Haufen Menschen, der Bericht von der Ermordung einer Person, bei der er einen Tag vorher war, – und das alles auf den leeren Magen! Wie soll man da nicht in Ohnmacht fallen! Und darauf begründen sie alles! Hol's der Teufel! Ich verstehe wohl, daß es ärgerlich ist, doch an deiner Stelle, Rodjka, würde ich ihnen allen ins Gesicht lachen oder noch besser: in die Fratze spucken, und zwar ordentlich, und an die zwei Dutzend Ohrfeigen austeilen, natürlich mit Verständnis, wie man es immer tun muß, und damit wäre die Sache für mich erledigt. Spuck drauf! Sei fest! Eine Schande!«
    – Er hat es recht gut dargelegt – dachte Raskolnikow.
    »Ich soll drauf spucken? Und morgen ist wieder ein Verhör!« sagte er bitter. »Soll ich mich etwa auf Erklärungen einlassen? Ich ärgere mich auch so, daß ich mich gestern im Wirtshause vor einem Samjotow erniedrigt habe ...«
    »Hol's der Teufel! Ich will mal selbst zu Porfirij gehen! Und ich werde ihn schon als Verwandter an die Wand drücken: soll er mir nur alle seine Karten aufdecken! Und was diesen Samjotow betrifft ...«
    – Endlich ist er drauf gekommen! – dachte Raskolnikow.
    »Halt!« rief Rasumichin und packte ihn plötzlich an der Schulter. »Halt! Du redest Unsinn! Jetzt bin ich drauf gekommen: es ist Unsinn! Wie soll das eine Falle sein? Du sagst, die Frage von den Arbeitern sei eine Falle gewesen? Begreife doch: wenn du es wirklich getan hättest, würdest du dich dann verplappern, daß du gesehen hättest, wie die Wohnung gestrichen wurde ... und die Arbeiter drin waren? Im Gegenteil: nichts habe ich gesehen, würdest du sagen, selbst wenn du sie gesehen hättest! Wer wird denn gegen sich selbst aussagen?«
    »Hätte ich die Sache gemacht, so würde ich unbedingt sagen, ich hätte die Wohnung und die Arbeiter gesehen«, antwortete Raskolnikow unwillig und mit sichtbarem Ekel.
    »Warum denn gegen sich selbst aussagen?«
    »Weil nur dumme Bauern oder die unerfahrensten Neulinge beim Verhör alles und ausnahmslos leugnen. Aber ein einigermaßen intelligenter oder erfahrener Mensch bemüht sich, alle äußeren und unwiderlegbaren Tatsachen unbedingt zuzugeben; er schiebt ihnen nur andere Gründe unter und bringt hier und da eigene, unerwartete Details herein, die ihnen eine ganz andere Bedeutung verleihen und sie in einem anderen Lichte hinstellen. Porfirij konnte gerade darauf rechnen, ich würde unbedingt so antworten und unbedingt – der Glaubwürdigkeit wegen – sagen, daß ich sie gesehen hätte, und dem noch etwas zur Erklärung hinzufügen ...«
    »Er hätte dir gleich gesagt, daß vor zwei Tagen keine Arbeiter dort gewesen sein konnten und daß du folglich am Tage des Mordes,

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