Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)
Hausknecht, und die Frau des ersten Hausknechts, und die Kleinbürgerin, die um jene Zeit in der Hausmeisterwohnung saß, und der Hofrat Krjukow, der im selben Augenblick aus einer Droschke stieg und mit einer Dame am Arm in den Torweg trat, sie alle, das heißt acht oder neun Zeugen, sagen übereinstimmend aus, daß Mikolai den Dmitrij zu Boden gedrückt hatte, auf ihm lag und ihn mit den Fäusten bearbeitete und daß jener ihn an den Haaren gepackt hatte und mit den Fäusten schlug. Sie liegen beide quer im Wege und versperren die Passage; man schimpft auf sie deswegen von allen Seiten, sie aber ›liegen wie kleine Kinder‹ (buchstäblicher Ausdruck der Zeugen) aufeinander, kreischen, balgen sich und lachen, lachen beide um die Wette, mit den komischsten Fratzen, und dann laufen beide wie die Kinder auf die Straße, und einer will den anderen fangen. Hast du es gehört? Nun beachte folgendes: die Leichen oben sind noch warm, du hörst? – sie waren noch warm, als man sie fand! Wenn sie beide, oder Mikolai allein, die Frauen ermordet und dabei die Kästen erbrochen haben, oder nur irgendwie am Verbrechen beteiligt waren, so erlaube mir, nur diese eine Frage zu stellen: wie reimt sich ein solcher Seelenzustand, das heißt das Kreischen, Lachen, die kindliche Balgerei im Torweg, mit den Axten, Blut, mit der verbrecherischen List und Vorsicht und mit dem Raube zusammen? Sie haben erst eben, also vor fünf oder höchstens zehn Minuten, den Mord begangen – das folgt daraus, daß die Leichen noch warm waren –, und plötzlich lassen sie die Leichen in der offenen Wohnung liegen, obwohl sie wissen, daß eben Menschen hinaufgegangen sind, lassen auch die Beute im Stich und wälzen sich wie kleine Kinder im Torweg, lachen und ziehen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, was von zehn Zeugen übereinstimmend bestätigt wird!«
»Das ist allerdings sonderbar! Natürlich ist dies unmöglich, aber ...«
»Nein, Bruder, kein aber ; doch wenn die Ohrringe, die am gleichen Tage und zur selben Stunde in Mikolais Hände geraten sind, tatsächlich einen wichtigen Beweis gegen ihn – welcher jedoch durch seine Aussagen sehr erschüttert wird – also einen strittigen Beweis darstellen, so muß man doch auch die entlastenden Tatsachen mit in Betracht ziehen, um so mehr, als diese Tatsachen unwiderlegbar sind. Was hältst du aber von unserer Jurisprudenz: werden sie eine solche Tatsache, die einzig auf der psychologischen Unmöglichkeit, einzig auf einer seelischen Stimmung begründet ist, als eine unwiderlegbare Tatsache, die sämtliche belastenden und gegenständlichen Tatsachen, welcher Art sie auch seien, vollkommen zerstört, gelten lassen und sind sie dessen überhaupt fähig? Nein, sie werden es für nichts in der Welt so auffassen, weil sie einmal das Kästchen gefunden haben und weil der Mann sich hat erhängen wollen, ›was nicht der Fall wäre, wenn er sich nicht schuldig fühlte!‹ Das ist die Kardinalfrage, deswegen rege ich mich so auf! Begreife es doch!«
»Das sehe ich auch, daß du dich aufregst. Wart', ich vergaß, dich zu fragen: wodurch ist es bewiesen, daß die Schachtel mit den Ohrringen tatsächlich aus der Truhe der Alten stammt?«
»Das ist bewiesen,« antwortete Rasumichin finster und, wie es schien, mit Unlust. »Koch erkannte den Gegenstand und gab auch denjenigen an, der ihn verpfändet hatte, und jener erklärte positiv, daß der Gegenstand tatsächlich ihm gehörte.«
»Das ist schlimm. Jetzt noch eine Frage: Hat denn niemand den Mikolai um jene Zeit gesehen, als Koch und Pestrjakow nach oben gingen, und kann man es nicht irgendwie beweisen?«
»Das ist es eben, daß ihn niemand gesehen hat,« antwortete Rasumichin ärgerlich. »Das ist eben so schlimm; selbst Koch und Pestrjakow haben die Anstreicher nicht gesehen, als sie nach oben gingen, obwohl ihre Aussage jetzt nicht viel zu bedeuten hätte. Sie sagen; ›Wir haben wohl gesehen, daß die Wohnung offen stand und daß darin wahrscheinlich gearbeitet wurde, doch im Vorbeigehen schenkten wir dem keine Beachtung und können uns nicht erinnern, ob in jenem Augenblick Arbeiter in der Wohnung waren oder nicht.‹«
»Hm! ... Folglich ist der einzige Gegenbeweis, daß sie sich miteinander balgten und lachten. Zugegeben, daß das ein gewichtiger Beweis ist, aber ... Erlaube jetzt: wie erklärst du selbst diese Tatsache? Wie erklärst du den Fund der Ohrringe, wenn er sie wirklich so gefunden hat, wie er aussagt?«
»Wie ich das erkläre? Da
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