Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
Deutschland?«
» Nicht daß ich wüßte«, sagt sie widerwillig.
» Sprechen sie Deutsch zu Hause?«
» Ich will jetzt gehen!«, sagt sie mühsam beherrscht. » Der Richter hat mich freigesprochen, nicht wahr?«
» Machen Sie, daß Sie rauskommen«, knurrt der Mann.
Cheltenham, Ladies’ College, 4. März 1912, Freitag
Am Vormittag wird Vivian ins Büro der Principalin zitiert. Was die Head Mistress ihr zu sagen hat, ist knapp, kalt und von oben herab. » Miss Peterman, ich bedaure es, aber ich muß Sie vom College verweisen. Sie wollen heute noch Ihre Sachen zusammenpacken und uns spätestens morgen vormittag verlassen.«
Vivian ist wie vor den Kopf geschlagen. » Aber warum denn«, fragt sie, » was habe ich denn getan, um Himmels willen?«
» Das wissen Sie besser als ich. Sie haben sich drei Tage ohne Erlaubnis vom Unterricht ferngehalten. Und gestern habe ich eine Mitteilung von Scotland Yard bekommen, daß man Sie wegen Beteiligung an einem Aufruhr in London festgenommen hat. Das sind für mich Gründe genug. Mehr als genug! Leben Sie wohl.«
Vivian fährt noch am selben Nachmittag mit dem Zug um 5 Uhr 08. Ihr Gepäck hat sie allein zum Bahnhof geschleppt. Sie fühlt sich wie betäubt von der plötzlichen Entlassung. Nur weil sie drei Tage geschwänzt hat. Aber damit hat sie nicht gerechnet, daß die Polizei das College verständigt. Der graue Mann im Polizeigericht fällt ihr ein, der Alte mit dem Raucherschnurrbart und dem Stock. Ob der dahintersteckt?
Das College hätte sie ohnehin nach dem Sommertrimester Ende September verlassen müssen, da sie mit achtzehn ja die Altersgrenze erreicht hat. Sie schaut aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft und denkt, ob sie mich ohne Abschluß überhaupt zum Kunststudium zulassen? Was ist nur auf einmal los? In London zertrümmert die Polizei Vaters Buchladen, und die Zeitungen lassen durchklingen, daß er ein Spion ist, obwohl sie es nicht beweisen können. Vater ein Spion! Diese Idioten! Und jetzt fliege ich mir nichts, dir nichts aus dem College. Das muß dieser idiotische Deutschenhaß sein. Überhaupt, Vater. Wenn sie jetzt nach Hause kommt, fliegt ihre ganze Eskapade auf. Ob er es ihr sehr übelnehmen wird? Es ist schon das zweite Mal, dass sie ihm was verschwiegen hat. Wird er ihr die Freundschaft zu Emmeline untersagen? Nein, das wahrscheinlich nicht.
Adrian fällt ihr ein. Jetzt hätte ich Zeit genug, ihn zu besuchen, denkt sie trotzig. Ob ich nach Kiel fahren soll? Das wäre schön! Sobald Vater das alles einigermaßen überwunden hat, natürlich, vorher nicht. Aber jetzt bin ich frei! Sie erinnert sich, wie sie Adrian gesagt hat, sie hasse das College. Bei ihrer zweiten Begegnung im Buchladen war das, als sie ihn zum Tee eingeladen hat, damit er noch eine Weile bleibt. Und wie sie auf der Treppe grinsen mußte, als sie hinaufrannte, um den Tee zu holen, und er ihr Gesicht nicht mehr sehen konnte. Auf einmal muß sie lachen.
Aber schnell zieht wieder ein Schatten über die kurze Freude. Ihr graut vor dem Gedanken, in wenigen Stunden dem Vater gegenübertreten zu müssen. Er wird sich aufregen, natürlich, aber wütend wird er nicht sein, das ist er nie ihr gegenüber. Er wird enttäuscht sein, und das ist viel schlimmer. Und Emmeline ist nicht da, um sie zu begleiten. Oder später zu trösten. Sie wird erst am Dienstag aus dem Gefängnis entlassen werden. Die Ärmste! Hoffentlich übersteht sie es gut.
In drei Stunden wird sie zu Hause sein. Dann wird sie dem Vater alles erklären, ohne einen Versuch, sich zu rechtfertigen. Und sie wird sich entschuldigen. Dann wird sie sich in ihr Zimmer zurückziehen. Allein sein. Und sie wird Adrian einen Geburtstagsgruß schreiben, höchste Zeit, wenn der nicht zu spät ankommen soll. Wenn sie sich richtig erinnert, wird er am 10. März siebenundzwanzig. Oder achtundzwanzig? Herrjeh, sie hat das Jahr vergessen. Na, nicht so schlimm. Doch, jetzt weiß sie es wieder: 1883. Adrian wird achtundzwanzig.
Kiel Gaarden, 10. März 1912, Sonntag
Gestern abend hat er einen lila Expreßbrief von Vivian vorgefunden, und jetzt, während er seinen Morgenkaffee schlürft, liest er ihn noch einmal. Sie gratuliert ihm zum Geburtstag und hofft, daß der Brief rechtzeitig ankommt. Sie schildert ihm die Frauendemonstration und wie sie deswegen vor den Polizeirichter mußte und aus dem College geflogen ist. Und ganz unten schreibt sie: 28 Küsse zum Geburtstag! Deine Vivian.
Wie lieb von ihr! Er schnuppert an dem Brief,
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