Verfuehrung
Abend eingeladen wurde. Als ruhiger, hilfreicher Knabe hatte er ihr besser gefallen. Auf gar keinen Fall durfte Don Sancho den Eindruck gewinnen, als ob er nun, da ein zweiter Gast vorhanden war, nicht mehr so beachtet wurde und alle nur noch für den gutaussehenden Neuankömmling schwärmten.
»Wenn Sie im Dienst eines Kardinals stehen«, sagte Bellino daher kühl, »dann wundert es mich, dass Sie ein so schlechter Kleriker sind, dass Sie noch nicht einmal die Fastenzeit einhalten. Das bringen sogar wir gewöhnlichen Christen fertig.«
»Wozu steht man im Dienst der Kirche, wenn nicht, um Ausnahmen für sich herauszuhandeln?«, fragte Giacomo Casanova reuelos zurück. »Der Papst hat mir einen Dispens für die Fastenzeit erteilt.«
»Den hätten Sie sich schriftlich geben lassen sollen«, sagte Don Sancho milde, »statt von dem armen Wirt zu fordern, dass er Ihnen blindlings vertraut.«
»Habe ich kein vertrauenswürdiges Gesicht? Ich bin entsetzt, zutiefst erschüttert, am Rande eines Nervenzusammenbruchs und kann nur davor bewahrt werden, wenn mir hier umgehend jeder im Raum sofort das Gegenteil versichert.«
Wider Willen spürte Bellino, wie ihre Mundwinkel zuckten. Auf jeden Fall hatte er Sinn für Humor und war auch in der Lage, sich über sich selbst lustig zu machen. Marina und Cecilia nahmen seine Aussage wörtlich und beeilten sich, seiner Aufforderung Folge zu leisten.
»Don Sancho, gibt es eine Art von Liedern, die Sie bevorzugen?«, fragte Bellino den Kastilier, denn der Abend sollte nicht dazu dienen, dass jedermanns Aufmerksamkeit auf venezianische Kardinalssekretäre statt auf sie gerichtet war. »Ich würde Ihnen gerne eine Freude machen.«
Don Sancho, so stellte sich heraus, hielt Melodien, bei denen man das Herz singen hörte, für das Wesen der Musik. Er liebte neapolitanische Volkslieder und besonders die Arie Son qual nave aus der Oper Artaserse, die für Farinelli, den derzeit berühmtesten lebenden Kastraten, geschrieben worden war. Farinelli, der sich inzwischen von der Bühne zurückgezogen hatte und nur noch für den spanischen König sang. Bellino wurde bewusst, dass Don Sancho diese Arie möglicherweise von Farinelli selbst gehört hatte, und ihre Knie wurden weich. Es war eine Herausforderung, so ein Wunsch, und die Gefahr, dass sie sich dabei blamierte, war sehr groß. Selbst wenn es ihr gelingen sollte, eine gute Leistung zu erbringen, würde die Erinnerung an einen Auftritt Farinellis in Don Sanchos Geist einen solch riesigen Schatten werfen, dass sie schlimmstenfalls darin ertrank. Eine gute Erinnerung war meist verführerischer und schöner als jede Gegenwart, selbst, wenn sie nicht von dem größten lebenden Sänger geschaffen worden war.
Aber das Handtuch werfen und sich weigern, Son qual nave zu singen, und um einen anderen Liederwunsch bitten, das ging nicht. Das wäre feige, das hieße, Don Sancho zu beweisen, dass sie einer Empfehlung nach Neapel nicht würdig wäre. Bellino schloss kurz die Augen. Dann begann sie mit einem neapolitanischen Lied, um sich einzustimmen. Es war die Art von Lied, welches sie während des Karnevals Dutzende Male gesungen hatte, weil sie gefragt waren und selbst den ärmeren unter den Zuhörern gut bekannt und daher mitgesummt werden konnten. Es war auch die beste Art, um durch die Freude am Vortrag an Sicherheit zu gewinnen, und sie spürte, wie Don Sancho ihr erfreut lauschte. Er schien wirklich ein wahrer Liebhaber der Musik zu sein, denn er hielt die Augen geschlossen und bewegte den Kopf ganz sachte im Takt. Cecilia und Marina allerdings konnten es nicht lassen, dem Abbate schöne Augen zu machen, und obwohl sie sich sagte, dass sie im gleichen Alter für Appianino geschwärmt und kaum etwas als ihn im Kopf gehabt hatte, schlich sich Ärger in Bellinos Freude. Appianino war eben nicht nur ein schöner Mann gewesen, sondern vor allem ein nahezu einmaliger Sänger. Cecilia beharrte doch immer darauf, dass Bellino ihr Vorbild war und sie ihretwegen – seinetwegen – Musikerin werden wollte, auch Sängerin, zumindest außerhalb des Kirchenstaats. Da sollte Cecilias Aufmerksamkeit doch eigentlich ihr gelten.
Der Teufel ritt sie, und Bellino sang als Nächstes ein venezianisches Lied, eine freche kleine Ballade über eine Dienerin, die ihren alten Geizkragen von einem Herrn dazu überredet, sie zu heiraten, um seiner Verwandtschaft, die schon auf sein Erbe lauert, eins auszuwischen. Einer der enttäuschten Verwandten war ein
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