Vergebung
einfach an die reguläre Polizei wenden sollte. Jan Bublanski war der Leiter der Ermittlungen in Sachen Ronald Niedermann und dürfte sich wohl für alle Informationen interessieren, die diesen Fall betrafen. Doch rein politisch war dieser Schritt völlig unmöglich.
Er spürte eine Zentnerlast auf seinen Schultern.
Schließlich blieb ihm nur noch eine Alternative, die verfassungskonform war und ihn vielleicht schützen konnte, wenn er in der Zukunft politisch in Ungnade fallen sollte. Er musste sich an seinen obersten Chef wenden und sich politische Rückendeckung für seine Ermittlungen verschaffen.
Er sah auf die Uhr. Freitagnachmittag, kurz vor vier. Er griff zum Hörer und rief den Justizminister an, den er seit mehreren Jahren kannte und bei verschiedenen Vorträgen getroffen hatte. Er bekam ihn tatsächlich schon nach fünf Minuten an den Apparat.
»Hallo, Torsten«, grüßte ihn der Justizminister. »Lang nichts mehr von Ihnen gehört. Worum geht’s?«
»Ehrlich gesagt rufe ich Sie an, um herauszufinden, für wie glaubwürdig Sie mich halten.«
»Glaubwürdig? Lustige Frage. Meiner Meinung nach sind Sie sehr glaubwürdig. Was bewegt Sie, mir so eine Frage zu stellen?«
»Ein dramatisches und außergewöhnliches Anliegen bewegt mich dazu … Ich brauche ein Treffen mit Ihnen und dem Ministerpräsidenten. Es ist sehr dringend.«
»Hoppla.«
»Entschuldigen Sie bitte, aber bevor ich Ihnen Weiteres erkläre, möchte ich lieber warten, bis wir unter uns reden können. Ich habe hier eine Angelegenheit auf dem Tisch, die so absonderlich ist, dass sowohl Sie als auch der Ministerpräsident davon erfahren sollten.«
»Das hört sich ja dramatisch an.«
»Ist es auch.«
»Hat es irgendwas mit einer terroristischen Bedrohung zu tun …«
»Nein. Ich setze in dieser Angelegenheit mein ganzes Ansehen und meine Karriere aufs Spiel. Ich würde dieses Telefonat nicht führen, wenn ich nicht glaubte, dass der Ernst der Situation es erfordert.«
»Verstehe. Daher also Ihre Frage, ob ich Sie für glaubwürdig halte … Wie schnell müssen Sie den Ministerpräsidenten treffen?«
»Noch heute Abend, wenn das einzurichten ist.«
»Jetzt fange ich aber wirklich an, mir Sorgen zu machen.«
»Sie haben leider allen Grund dazu.«
»Wie lange wird dieses Treffen dauern?«
Edklinth überlegte.
»Es wird wohl eine Stunde dauern, bis ich alle Details erklärt habe.«
»Ich rufe Sie gleich zurück, ja?«
Der Justizminister rief nach fünfzehn Minuten zurück und erklärte, dass der Ministerpräsident Torsten Edklinth am selben Abend um 21 Uhr 30 in seiner Wohnung empfangen könne. Als Edklinth auflegte, hatte er schweißnasse Hände. Okay … morgen früh könnte meine Karriere schon vorbei sein.
Er hob noch einmal den Hörer ab und rief Monica Figuerola an.
»Hallo, Monica. Heute Abend um 21 Uhr müssen Sie noch einmal zum Dienst erscheinen. Ziehen Sie sich bitte gut an.«
»Ich zieh mich immer gut an«, antwortete Monica Figuerola.
Der Ministerpräsident betrachtete den Chef des Verfassungsschutzes mit einem Blick, den man am ehesten als misstrauisch bezeichnen konnte. Edklinth kam es vor, als würden hinter der Stirn des Ministerpräsidenten die Zahnrädchen auf Hochtouren laufen.
Der Ministerpräsident betrachtete Monica Figuerola, die während des einstündigen Vortrags keinen Ton gesagt hatte. Er sah eine ungewöhnlich große und muskulöse Frau, die seinen Blick höflich und erwartungsvoll erwiderte.
Schließlich atmete der Ministerpräsident tief durch, nahm die Brille ab und starrte eine Weile in die Ferne.
»Ich glaube, wir brauchen noch Kaffee«, sagte er schließlich.
Edklinth nickte, und der Justizminister schenkte aus der Thermoskanne nach.
»Wenn ich noch einmal zusammenfassen darf, damit ich auch ganz sicher sein kann, alles richtig verstanden zu haben«, sagte der Ministerpräsident. »Sie haben den Verdacht, dass es innerhalb der Sicherheitspolizei eine Verschwörung von Mitarbeitern gibt, die in kriminelle Machenschaften verstrickt sind und damit außerhalb ihres verfassungsmäßigen Auftrags agieren.«
Edklinth nickte.
»Und Sie kommen damit zu mir, weil Sie der Führung der Sicherheitspolizei nicht vertrauen?«
»Nun ja«, antwortete Edklinth. »Ich habe beschlossen, mich direkt an Sie zu wenden, weil diese Art von Tätigkeit verfassungswidrig ist, aber es besteht ja auch die Möglichkeit, dass ich irgendetwas falsch deute. Die Tätigkeit könnte ja womöglich von oberster Stelle
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