Vergebung
»Es wäre schrecklich, wenn ihr tatsächlich dieses Unrecht widerfahren wäre, wie Millennium behauptet … sollte so etwas tatsächlich möglich sein?«
»Ich befürchte, ja«, meinte Edklinth.
»Dann müssen wir dafür sorgen, dass sie rehabilitiert wird und vor allem keinen neuen Übergriffen ausgesetzt werden kann«, sagte der Ministerpräsident.
»Und wie soll das gehen?«, fragte der Justizminister. »Die Regierung kann unter gar keinen Umständen in einen laufenden Prozess eingreifen. Das wäre gesetzeswidrig. Erst wenn Salander den Prozess verloren hat und bei der Regierung Berufung einlegt, können wir eingreifen und sie begnadigen oder den Generalstaatsanwalt prüfen lassen, ob es Gründe für eine Wiederaufnahme des Prozesses gibt.«
Dann fügte er noch hinzu:
»Aber es geht nur darum, ob sie zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wird. Wenn sie in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen wird, sind der Regierung die Hände gebunden. Das ist eine medizinische Frage, und der Ministerpräsident hat nicht die Kompetenz, über ihre Gesundheit zu befinden.«
Am Freitagabend um zehn Uhr hörte Lisbeth Salander den Schlüssel in der Tür. Schnell schaltete sie ihren Palm aus und schob ihn unter das Kissen. Als sie aufblickte, sah sie, wie Dr. Jonasson die Tür hinter sich schloss.
»Guten Abend, Frau Salander«, begrüßte er sie. »Und, wie geht es Ihnen heute Abend?«
»Ich habe rasendes Kopfweh und fühle mich fiebrig«, erklärte Lisbeth.
»Das hört sich ja gar nicht gut an.«
Lisbeth Salander sah nicht gerade so aus, als würde sie sonderlich von Fieber oder Kopfschmerzen gequält. Dr. Jonasson untersuchte sie zehn Minuten lang. Er stellte fest, dass das Fieber am Abend wieder stark gestiegen war.
»Zu traurig, dass uns das passiert ist, wo Sie sich doch in den letzten Wochen so gut erholt hatten. Tja, jetzt muss ich Sie leider noch mindestens zwei Wochen hierbehalten.«
»Zwei Wochen dürften reichen.«
Er bedachte sie mit einem langen Blick.
Die Entfernung zwischen London und Stockholm auf dem Landweg beträgt ungefähr eintausendachthundert Kilometer, die man theoretisch in zwanzig Stunden zurücklegen könnte. Doch hatte er fast schon zwanzig Stunden benötigt, um die deutsch-dänische Grenze zu erreichen. Der Himmel war mit bleischweren Gewitterwolken bedeckt, und als der Mann, der sich Trinity nannte, am Montag auf der Öresund-Brücke war, schüttete es wie aus Eimern. Er verlangsamte die Fahrt und schaltete die Scheibenwischer an.
Trinity fand es ganz schrecklich, durch Europa zu fahren, da der gesamte Kontinent stur an der Unsitte festhielt, die falsche Straßenseite zu benutzen. Er hatte seinen Lieferwagen am Samstagmorgen beladen, die Fähre von Dover nach Calais genommen und war danach via Lüttich durch Belgien gefahren. Bei Aachen hatte er die deutsche Grenze überquert und dann auf der Autobahn den Weg in Richtung Hamburg und weiter nach Dänemark eingeschlagen.
Sein Kompagnon Bob the Dog schlummerte auf dem Rücksitz. Sie hatten sich mit dem Fahren abgewechselt, und wenn man die wenigen einstündigen Pausen an den Raststätten nicht mitzählte, hatten sie einen Schnitt von 90 Kilometern pro Stunde eingehalten. Der Lieferwagen war 18 Jahre alt und gab nicht viel mehr her.
Zwar hätte man auch einfacher von London nach Stockholm gelangen können, doch leider war es abwegig, eine knapp dreißig Kilo schwere elektronische Ausrüstung mit dem Flugzeug nach Schweden einzuführen. Obwohl sie unterwegs sechs Landesgrenzen passiert hatten, waren sie von keinem einzigen Zollbeamten und keiner Passkontrolle aufgehalten worden. Trinity war ein großer Anhänger der EU, deren Bestimmungen seine Besuche auf dem Kontinent vereinfachten.
Er war 32 Jahre alt und stammte aus Bradford, wohnte aber seit seiner Kindheit in London. Seine schulische Ausbildung war äußerst mangelhaft; er konnte ein Berufsschulzeugnis vorweisen, das ihm bescheinigte, dass er ausgebildeter Telekommunikationstechniker war. Nach seinem 19. Geburtstag hatte er drei Jahre lang als Installateur für die British Telecom gearbeitet.
In Wirklichkeit besaß er so eingehende Kenntnisse der Elektronik und Informatik, dass er in einem Fachgespräch ohne Weiteres jeden beliebigen großtuerischen Professor übertrumpfen konnte. Seit seinem zehnten Lebensjahr lebte er mit Computern, und als er 13 war, hatte er seinen ersten Computer gehackt. Dabei hatte er Blut geleckt, und im Alter von 16 Jahren war er so weit, dass er
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